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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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Kaninchens hatte man ihnen empfohlen, um Jacksons Angst vor dem frühen Tod seines Vaters zu zerstreuen.
     Tucker wusste nicht mehr genau, welche Idee dahintersteckte – vielleicht sollte das Kind etwas über die natürliche Ordnung
     der Dinge lernen, indem es sich um ein Haustier kümmerte, war es das gewesen? Damals hatte es einleuchtend geklungen, aber
     das Kaninchen war nach zwei Tagen gestorben, und nun redete Jackson ständig von seinem toten Kaninchen. Allerdings schien
     er Tuckers täglich zu erwartendem Ableben nun eine Spur phlegmatischer entgegenzusehen.
    »Das Kaninchen ist da vorne begraben«, erklärte Jackson Lizzie und zeigte auf ein hölzernes Kreuz am Rande des Rasens. »Dad
     kommt gleich daneben, stimmt’s, Dad?«
    »Klaro«, sagte Tucker. »Aber jetzt noch nicht.«
    »Aber bald«, sagte Jackson. »Vielleicht, wenn ich sieben bin?«
    »Noch später«, sagte Tucker.
    »Na ja, mal sehen«, meinte Jackson skeptisch, als ginge es in dem Gespräch darum, Tucker zu trösten. »Ist deine Mom schon
     tot, Lizzie?«
    »Nein«, sagte Lizzie.
    »Geht es ihr gut?«, fragte Tucker.
    »Es geht ihr bestens, danke der Nachfrage«, sagte Lizzie. War da Säure beigemischt? Höchstwahrscheinlich. »Es war ihre Idee,
     dass ich dich besuche.«
    »Okay«, sagte Tucker.
    »Es ist halt wegen dieser Sache«, sagte Lizzie.
    »Jaja.« Diese Sache, jene Sache … Am Schluss kam doch immer mehr oder weniger dasselbe heraus, warum also auf einer Definition
     bestehen?
    »Wenn man erfährt, dass man selbst ein Kind bekommt, möchte man mehr über alles erfahren.«
    »Klar.«
    »Du hast es erraten, oder?«
    »Was?«
    »Was ich gerade gesagt hab.«
    Er hatte das Gefühl, dass er gerade eine Information bekommen hatte, die er noch nicht verarbeiten konnte. Vielleicht sollte
     er diese Kennenlern-Gespräche nicht als Genre behandeln.
    »Warte mal«, sagte Jackson. »Das heißt … Du bist meine Schwester, richtig?«
    »Halbschwester.«
    »Das heißt … Ich bin dann … Was bedeutet das?«
    »Du wirst dann Onkel.«
    »Cool.«
    »Und er ist dann Großvater.«
    Bei Tucker fiel endlich der Groschen, als Jackson in Tränen ausbrach und wegrannte, um seine Mutter zu suchen.
     
    Schließlich taute Lizzie doch ein wenig auf – zumindest an der Jackson zugewandten Seite, als Tucker ihn ein paar Minuten
     später zurückholte.
    »Das bedeutet nicht, dass dein Dad alt ist«, sagte sie. »Das ist er nicht.«
    »Okay, und wie viele andere Kinder an meiner Schule haben dann wohl Väter, die Großvater sind?«
    »Bestimmt nicht viele.«
    »Keins«, sagte Jackson. »Nicht ein einziges.«
    »Jack, das hatten wir doch schon alles«, erklärte Tucker. »Ich bin fünfundfünfzig. Du bist sechs. Ich werde noch lange leben.
     Du wirst schon ein großer Kerl sein, bevor ich mich bequeme, abzutreten. Vierzig, vielleicht. Ich werd dir längst zum Hals
     raushängen.«
    Tucker hätte lieber nicht auf die Lebenslänge gewettet, die er sich da voraussagte. Dreißig Jahre Rauchen, zehn Jahre Alkoholabhängigkeit
     … Es würde ihn schon überraschen, wenn er es auf 70 brächte.
    »Du wirst gar nicht miterleben, wie ich vierzig werde«, sagte Jackson. »Du könntest morgen schon sterben.«
    »Werde ich nicht.«
    »Könntest du aber.«
    Tucker ließ sich während solcher Gespräche immer von der Logik ablenken. Ja, vielleicht sterbe ich morgen, hätte er am liebsten
     gesagt. Aber das stimmte auch schon, bevor du erfahren hast, dass ich Großvater werde. Aber statt solchen Argumentationen
     zu folgen, musste er einfach irgendeinen Blödsinn erzählen. Blödsinn funktionierte immer.
    »Kann ich nicht.«
    Jackson starrte ihn mit neuer Hoffnung an.
    »Ehrlich?«
    »Nee. Wenn mir heute nichts fehlt, kann ich morgen nicht sterben. Die Zeit reicht dann einfach nicht.«
    »Und was ist mit einem Autounfall?«
    Den jeder in jedem Alter jederzeit haben kann, du Schwachkopf.
    »Nee.«
    »Warum nicht?«
    »Weil wir morgen nirgendwohin mit dem Auto fahren.«
    »Und am Tag danach?«
    »Oder am Tag danach.«
    »Wie kriegen wir dann was zu essen?«
    »Wir haben tonnenweise Essen hier.«
    Tucker wollte nicht darüber nachdenken, ob ihnen die Lebensmittel ausgehen würden, weil sie nirgendwo hinfahren konnten. Er
     wollte darüber nachdenken, wie alt er war und dass er bald sterben würde, und wie das ganze Leben an ihm vorbeigeeilt war,
     ohne dass er es richtig gemerkt hatte.
     
    Vor einiger Zeit hatte sich Tucker selbst das Versprechen abgenommen, sich irgendwann

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