Juliet, Naked
nach ihrer Mutter, und sie erzählte von ihrem Studium.
Kurz, sie schlugen sich, so gut sie konnten, wenn man bedenkt, dass sie Fremde waren, die sich da ein Auto teilten. Manchmal
war es Tucker ein Rätsel, warum die Gesellschaft immer so einen Wind um den leiblichen Vater machte. Alle seine Kinder waren
von kompetenten Müttern und liebevollen Stiefvätern aufgezogen worden, wozu brauchten sie dann ihn? Sie (und ihre Mütter)
sagten ihm immer wieder, sie wollten wissen, wo sie herkämen und wer sie seien, aber je öfter er das hörte, desto weniger
verstand er es. Seinem Eindruck nach wussten sie immer schon, wer sie waren.Aber das konnte er ihnen nie sagen, sonst würden sie ihn für ein kaltherziges Arschloch halten.
Der Tenor der Unterhaltung änderte sich aber auf dem letzten Stück, als sie schon vom Freeway runter waren.
»Mein Freund ist Musiker«, sagte Lizzie plötzlich.
»Schön für ihn«, sagte Tucker.
»Als ich ihm sagte, dass du mein Vater bist, konnte er es gar nicht glauben.«
»Wie alt ist er? Fünfundvierzig?«
»Nein.«
»Ich mach nur Spaß. Die meisten Jüngeren kennen meine Sachen gar nicht.«
»Oh, ich verstehe. Nein. Er kannte sie. Ich glaube, er würde dich gern kennenlernen. Vielleicht könnte ich ihn ja das nächste
Mal, wenn ich komme, mitbringen.«
»Na klar.« Das nächste Mal? Zweifellos war dieser Besuch eine Art Bewährungsprobe, wenn nicht gar ein Vorstellungsgespräch.
»Weihnachten vielleicht?«
»Ja«, sagte Jackson, »Jesse und Cooper kommen zu Weihnachten. Da wäre es doch toll, wenn du auch kämst.«
»Wer sind Jesse und Cooper?«
Oh, Scheiße, dachte Tucker. Wie war denn das passiert? Er hätte beinahe schwören können, dass er Natalie von den Zwillingen
erzählt hatte, und er konnte ja wohl voraussetzen, dass Natalie diese Neuigkeit an Lizzie weitergab. Aber das hatte sie offensichtlich
nicht. Das war wieder mal etwas, das er persönlich hätte tun müssen, wenn er ein richtiger Vater gewesen wäre. Derartige Vorfälle
gab es immer wieder. Sie nahmen nie ein Ende. Wenn die Hoffnung bestünde, es würde etwas nützen, würde er ja Erziehungsratgeber
lesen, aber er versagteja bereits bei Dingen, die so selbstverständlich waren, dass sie in Ratgebern gar nicht vorkamen. »Sagt euren Kinder immer,
dass sie Geschwister haben …« Er konnte sich keinen Brüter-Guru vorstellen, der sich die Mühe machen würde, so etwas aufzuschreiben.
Vielleicht gab es da eine Marktlücke.
»Das sind meine Brüder«, erklärte Jackson. »Halbbrüder. So wie du. Ich.«
»Cat hat schon Kinder aus einer anderen Beziehung?«, fragte Lizzie. Selbst dieses Bröckchen sie kaum betreffender Information
rief eindeutigen Unmut hervor – offensichtlich hatte sie Anspruch darauf, es zu wissen. Und wenn sie sich schon darüber ärgerte,
dass Cat Kinder hatte, von denen sie nichts wusste, würde sie erst recht sauer werden, wenn sie erfuhr, dass es seine waren,
dachte Tucker. Oder tat er ihr unrecht? Vielleicht würde sie ja ganz begeistert sein, mehr Geschwister als erwartet zu haben.
Mehr Geschwister – mehr Spaß, oder?
»Nein«, sagte Tucker.
»Das heißt …«
Tucker wollte nicht, dass sie von allein darauf kam. Er wollte sagen können, dass er es ihr erzählt hatte, auch wenn er sich
zwölf Jahre Zeit damit gelassen hatte.
»Jesse und Cooper sind von mir.«
»Von dir?«
»Jep. Jungs, Zwillinge.«
»Seit wann?«
»Och, vor ein paar Jahren. Sie sind zwölf.«
Lizzie schüttelte verbittert den Kopf.
»Ich dachte, du wüsstest das«, sagte Tucker.
»Nein«, erklärte Lizzie. »Wenn ich es gewusst hätte, würde ich nicht so tun, als wüsste ich es nicht. Ehrenwort. Warum sollte
ich?«
»Du wirst sie mögen«, meinte Jackson zuversichtlich. »Ich mag sie. Aber spiel mit ihnen kein DS-Spiel. Die machen dich alle.«
»Großer Gott«, sagte Lizzie.
»Ich hab da Erfahrung«, sagte Jackson.
»Und sie waren schon zu Besuch?«
»Bislang erst einmal«, meinte Tucker.
»Ich bin also nur die Nächste auf dem Fließband?«
»Ja. Du musst morgen ausgeliefert werden, sonst knallt das nächste Kind auf dich drauf und es gibt eine Massenkarambolage.
Ein paar habe ich auf die Weise schon verloren.«
»Findest du, darüber sollte man Witze machen?«
»Nein. Tut mir leid, Lizzie.«
»Das will ich auch hoffen. Du bist wirklich unglaublich, Tucker.«
Lizzies Mutter war in Tuckers Erinnerung auf das tolle Foto reduziert worden, das Richard Avedon 1982
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