Geschichte, die sich
die Frauen erzählten, gab es einige faktische Fehler, aber nichts, das sich zu berichtigenlohnte: Wen juckte es schon, dass Natalie in ihrer Wut und Verbitterung Lizzie erzählt hatte, er habe mit anderen Frauen in ihrer Wohnung geschlafen? Es war nur der Schauplatz, mit dem sie falsch lag, der Akt der Untreue blieb. Das einzige Wort, das das meiste
erklärte, war »volltrunken«. Das hätte er in regelmäßigen Abständen einwerfen können, vielleicht sogar nach jedem Satz, aber
das hätte es sicher nicht besser gemacht.
Am Ende des Abends zeigte er Lizzie ihr Zimmer und wünschte ihr gute Nacht.
»War das alles okay?«, fragte sie, und machte ein Gesicht, als hätte er den Abend mit akutem Sodbrennen verbracht.
»Oh, doch, prima. Das stand dir zu.«
»Ich hoffe, du kriegst das mit Cat auf die Reihe. Sie ist wunderbar.«
»Ja. Danke. Gute Nacht. Schlaf gut.«
Tucker ging wieder nach unten, aber Cat war nicht mehr da: Sie hatte seine Abwesenheit genutzt, um ohne ihn – und ohne Erklärung
– ins Bett zu gehen. Sie schliefen in letzter Zeit meistens in getrennten Zimmern, aber sie waren in jener eigentümlichen
Phase ihrer Beziehung, wo das nicht einfach als Tatsache akzeptiert wurde: Sie besprachen es jeden Abend. Oder sprachen es
zumindest an. »Ist dir das recht mit dem Gästezimmer?«, fragte Cat etwa, und Tucker zuckte dann mit den Achseln und nickte.
Ein paar Mal, nach richtig wüsten Auseinandersetzungen, die sie bis kurz vor den Punkt, an dem es kein Zurück gab, gebracht
hatten, war er ihr ins Schlafzimmer gefolgt, und am Schluss hatten sie das Ruder im letzten Moment herumgerissen. Doch heute
Abend wurde nichts abgesprochen. Sie war einfach verschwunden.
Tucker ging ins Bett, las noch etwas und machtedann das Licht aus. Aber er fand keinen Schlaf. Das bist nicht wirklich du, oder? , hatte diese Frau geschrieben, und er hatte begonnen, im Kopf Antworten darauf zu formulieren. Schließlich stand er auf und
ging runter an den Computer. Annie würde sich wundern, was auf sie zukam.
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From: Tucker
[email protected]Subject: Re:Re: Deine Besprechung
Liebe Annie,
ich bin es wirklich, auch wenn mir kein vernünftiger Weg einfällt, wie ich es Dir beweisen könnte. Wie wär’s damit: Mir ist
gar nichts auf einer Toilette in Minneapolis passiert. Oder damit: Ich habe, nachdem ich Juliet gemacht hatte, komplett aufgehört,
Musik einzuspielen, das heißt, ich besitze weder Material für Hunderte von Alben versteckt in irgendeinem Schuppen, noch veröffentliche
ich unter anderem Namen regelmäßig Platten. Ist das von Nutzen? Wahrscheinlich nicht, es sei denn, Du bist vernünftig genug
zu glauben, dass die Wahrheit über andere immer enttäuschend ist, und die über mich besonders. Das liegt an einer unglücklichen
Wendung der Ereignisse: Je länger ich überhaupt nichts gemacht habe außer fernsehen und trinken, desto mehr war ein kleiner,
aber beeindruckend fantasiebegabter Kreis von Menschen offensichtlich davon überzeugt, dass ich unentwegt die unwahrscheinlichsten
Dinge tue – zum Beispiel, dass ich mit Lauryn Hill in Colorado Hip-Hop-Alben aufnehme oder mit Steve Ditko in Los Angeles
einen Film drehe. Ich wünschte, ich würde Lauryn Hill und/oder Steve Ditko kennen, denn ich bewundere beide sehr (und weil
ich dann ein bisschen Geld verdienen könnte), aber dem ist nicht so. Einige dieser Legenden sind sogar so schillernd, dass
sie mich davor abgeschreckt haben, wieder aus der Versenkung aufzutauchen; mir kommt es so vor, als würde ich den Leuten untergetaucht
viel mehr Freude machen, als wenn ich noch präsent wäre. Kannst Du Dir vorstellen, wie es wäre, wenn ich einem der Musikmagazine,
die noch an jemandem wie mir interessiert sind, ein Interview geben würde: »Nein, hab ich nicht. Nein, kenn ich nicht. Nein,
waren wir nicht …« Es wäre so öde, dass es keinen überzeugen würde. Jeder kann behaupten, er hätte nichts gemacht.
Heute habe ich erfahren, dass ich Großvater werde. Da ich die betreffende schwangere Tochter eigentlich kaum kenne – ich kenne
übrigens vier meiner fünf Kinder kaum – kann ich mich nicht allzu sehr freuen; für mich liegt die einzige emotionale Bedeutung
der Nachricht darin, was sie über mich aussagt. Ich habe deswegen kein besonders schlechtes Gewissen. Es hat keinen Sinn,
Begeisterung zu heucheln, wenn dir jemand, den du nicht näher kennst, erzählt, er