Juliregen
späten Nachmittag am Bahnhof. Dann kommen wir so früh zu den Möbeln, dass Sie diese noch bei Tageslicht prüfen können.« Laabs atmete auf, als Lore nickte.
»Gut, machen wir es so! Können Sie uns Ihre Visitenkarte hierlassen?«
Da Laabs in Pielkes Auftrag bereits als Hehler unter diesem Tarnnamen tätig gewesen war, brachte ihn die Bitte nicht in Verlegenheit. Mit einem Lächeln zog er seine Brieftasche hervor, entnahm ihr eine der falschen Visitenkarten und reichte sie Lore. »Hier, gnädige Frau. Dausend, Emil, Gebrauchtmöbelhändler, Berlin, Görlitzer Straße 134 zu Ihren Diensten.«
Die Adresse war ebenso erfunden wie der Name, doch da er Lore und ihre Begleiter am Bahnhof abfangen wollte, war das kein Problem. Mit dem Gefühl, für diesen Streich eine größere Belohnung von Ottwald von Trettin verdient zu haben als das, was sie ausgemacht hatten, verabschiedete er sich und kehrte zu Sikkos Krug zurück. Dort hielt er sich nicht mehr lange auf, sondern packte seinen Koffer, bezahlte sein Zimmer und ließ sich von einem Bauern zum Bahnhof fahren. Mit etwas Glück würde er noch in der Nacht in Berlin ankommen und hatte dann genug Zeit, um zusammen mit Ottwald von Trettin, Gerhard Klampt und Rudi Pielke die Falle aufzubauen, in der sich Nathalia von Retzmann und Lore von Trettin verfangen sollten.
XV.
A n diesem Tag sehnte Lore Nathalias Rückkehr herbei. Der Gedanke, in Berlin für billiges Geld Möbel kaufen und damit Rodegard von Philippstein beschämen zu können, hielt sie fest im Griff, und sie bat Dorothea und Graf Nehlen, den sie von ihrem Entschluss unterrichtet hatte, nichts davon verlauten zu lassen. Sie vermied es sogar, Fridolin zu schreiben, denn es sollte auch für ihn eine Überraschung werden.
Dorothea verspottete sie, als sie bereits zum dritten Mal zur Einfahrt des Gutsareals ging, um zu sehen, ob Nathalia nicht schon am Horizont auftauchte. »Unser Komtesschen kommt gewiss bald! Sie hat versprochen, heute noch aufzutauchen, und sie ist zuverlässig, wie du weißt.«
»Das stimmt schon, aber es könnte ja sein, dass sie länger auf Steenbrook bleiben will, um weitere Möbel auszusuchen. Dabei ist das jetzt überflüssig«, antwortete Lore seufzend.
»Noch hast du die Berliner Möbel nicht gesehen, geschweige denn erworben. Wenn es schiefgeht, wirst du um jeden Stuhl froh sein, den Nati und ich für dich erübrigen können.« Dorothea lachte, doch im Grunde war sie ebenso begierig wie Lore, nach Berlin zu fahren und dort einzukaufen. Wenn Nathalia wider Erwarten an diesem Tag nicht zurückkam und sie am nächsten Tag nicht fahren konnten, war es jedoch auch kein Schaden. Schließlich hatte der Gebrauchtmöbelhändler Dausend ihnen seine Adresse hinterlassen. Das sagte sie auch zu Lore, doch ihre Freundin erwies sich als so störrisch wie ein widerspenstiger Esel. »Ich habe dem Mann versprochen, morgen zu kommen, und will ihn nicht versetzen. Wenn es nicht anders geht, fahren wir eben ohne Nati.«
»Sie wäre gewiss sehr enttäuscht«, warf Dorothea ein und ahnte nicht, dass jemand anders noch viel enttäuschter sein würde.
Da entdeckte Lore in der Ferne einen Reiter und gleich darauf mehrere Wagen. »Ich glaube, sie kommt«, rief sie und eilte auf den Weg hinaus.
Dorothea Simmern folgte ihr kopfschüttelnd. Im Allgemeinen war Lore von ausgeglichenem Gemüt, doch die ständigen Sticheleien von Mutter und Tochter Philippstein hatten sie in Rage versetzt. Nun wollte sie den beiden anmaßenden Frauen zeigen, wozu sie fähig war, und das besser heute als morgen. Ein paar Tage Berlin werden ihr guttun, dachte Dorothea bei sich und winkte Nathalia zu, die dem kleinen Wagenzug vorausgeritten war und eben ihre Stute vor Lore verhielt.
»Da bin ich wieder«, rief sie lachend. »Ich habe ein weiteres Gästezimmer ausräumen lassen, um es dieser Rodegard und ihrer Gottseibeiunsine zu zeigen! Außerdem habe ich die Kinder mitgebracht, die unbedingt sehen wollen, wohin ihre Mama und ihre Patentante entschwunden sind.«
»Ist auch Mary mitgekommen?«, fragte Lore.
Nathalia nickte. »Freilich! Der ist es ohne uns und ihren Mann trotz der Kinder auf Steenbrook langweilig geworden. Da wollte ich nicht riskieren, dass sie uns wieder nach Berlin entfleucht.«
Der Wagen, in dem Mary mit Fräulein Agathe und den Kindern saß, hatte inzwischen aufgeschlossen. Daher hatte Mary die letzten Worte gehört und lachte auf. »So schlimm war es nicht! Immerhin hatte ich Zeit, neue Kleider zu entwerfen.
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