Juliregen
den Kopf. »Als ich Jürgen das erste Mal auf der Straße getroffen und aus Mitleid mit nach Steenbrook genommen habe, hätte ich mir niemals träumen lassen, dass er einmal mein Mann werden würde. Erinnerst du dich noch daran?«
»Natürlich!«
Nathalia wollte etwas hinzufügen, doch da trat Fridolin ein, in der Hand ein eng beschriebenes Blatt. Seine Miene war sehr ernst.
»Ich hoffe, ihr verzeiht mir, wenn ich eure Unterhaltung störe. Doch der Postbote war eben da und hat diesen Brief gebracht. Er stammt von Malwine.«
»Dann will ich ihn erst gar nicht lesen«, wehrte Lore ab.
»Das solltest du aber! Das Schreiben ist bemerkenswert.«
»Was schreibt denn der alte Drachen?«, wollte Nathalia wissen.
»Sie bittet Lore und mich, nach Trettin zu kommen, weil sie sich mit uns aussprechen will, um Frieden mit uns zu schließen und ohne Gewissensbelastung in ein Stift eintreten zu können.«
»Glaubst du das?«, fragte Lore und nahm den Brief nun doch entgegen.
Malwine hatte tatsächlich von Aussprache und Frieden geschrieben, aber Lore erinnerten die Worte an den Wolf aus dem Märchen, der Kreide gefressen hatte. Sie brachte sie nicht mit jener Frau zusammen, die gemeinsam mit ihrem Mann den alten Herrn auf Trettin vom Gut verjagt und zu einem Leben in Armut und einem elenden, viel zu frühen Tod verurteilt hatte. Damals hatte Lore die Bitternis des Lebens voll ausschöpfen müssen, während Malwine und ihr Ehemann Ottokar wie ein dräuendes Verhängnis auf Trettin gesessen und ihren Großvater und sie mit ihrem Hass verfolgt hatten.
Diese Erinnerung und auch der Gedanke an die Gräber ihrer Eltern und Geschwister, an deren Tod Ottokar von Trettin Schuld trug, verhinderten, dass Lore auch nur eine Spur Mitleid empfand.
Mit einer abwehrenden Bewegung reichte sie Fridolin den Brief zurück. »Mir wäre es lieber, Malwine würde Trettin verlassen haben, bevor ich das erste Mal nach so langer Zeit hinfahre.«
Fridolin nickte. »Mir auch. Aber wenn Malwine ihre Taten wirklich bereut, sollten wir nicht so grausam sein, ihr unsere Verzeihung zu verweigern.«
»Sie schreibt, wir sollen die Kinder mitbringen, damit sie diese segnen kann. Das will ich ganz bestimmt nicht!«
Lores Stimme klirrte vor Abscheu. Doch ihr war klar, dass Fridolins Beweggründe stichhaltig waren und sie sich dieser Reise nicht entziehen konnte. »Also gut, fahren wir. Aber die Kinder werden in Berlin bleiben!«
»Das wäre mir auch lieber, doch es geht nicht«, wandte Fridolin ein. »Da die Nachbarn nicht in die Auseinandersetzungen zwischen uns, Malwine und deren Sohn eingeweiht sind, würden sie kein Verständnis dafür aufbringen, wenn wir den Wunsch der Witwe und trauernden Mutter schnöde abschlagen würden. Und nach allem, was ich über Trettin erfahren habe, sind wir auf die Unterstützung der Nachbarschaft dringend angewiesen!« Fridolin brachte noch weitere Gründe vor, bis Lore schließlich nachgab.
»Wann müssen wir fahren?«, fragte sie seufzend.
»Ich will es so rasch wie möglich hinter mich bringen. Du und die Kinder, ihr braucht nicht mehr als zwei, maximal drei Nächte auf Trettin zu verbringen, dann könnt ihr zurückkehren. Die restlichen Gespräche werde ich alleine mit Malwine führen.«
»Soll ich mitkommen?«, schaltete sich Nathalia in das Gespräch ein. »Zeit hätte ich, denn Jürgen ist zu seiner Mutter gereist, um deren Umzug nach Nehlen in die Wege zu leiten.«
»Ich weiß nicht, ob das gut ist. Malwine weiß schließlich, dass ihr Sohn umgekommen ist, als er dir folgen wollte«, wandte Lore ein.
Fridolin schüttelte ebenfalls den Kopf. »Mir wäre es lieber, du würdest hier oder in Berlin bleiben. Ich will nicht, dass Malwine durch deinen Anblick an Ottwalds Tod erinnert wird.«
»Ihr nehmt einfach zu viel Rücksicht auf diese rachsüchtige Giftnatter! Ich traue ihr um kein Haarbreit über den Weg. Seht euch lieber vor.« Nathalia sprach das aus, was ihre Freundin dachte.
Dann aber sagte sich Lore, dass die Frau, die gesellschaftlich völlig isoliert war, ihnen nichts mehr anhaben konnte. Zudem musste man im Leben nun einmal Kompromisse schließen und in manch sauren Apfel beißen.
VI.
N achdem die Entscheidung für die Reise nach Ostpreußen gefallen war, wollte Lore das Ganze so rasch wie möglich hinter sich bringen. Als erster Etappenort war Berlin vorgesehen. Bis dorthin sollten sie Dorothea und Nathalia begleiten, die bei Mary das Brautkleid bestellen wollten.
Als sie an einem regnerischen
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