Juliregen
deutete damit an, dass sie sich auf gleicher Stufe wie Hede wähnte. Die übrigen Huren hoben nur kurz den Kopf und schrubbten weiter.
Nun kam Hede an ihrem Büro vorbei. Da sie es bereits ihren Nachfolgerinnen übergeben hatte, verkniff sie es sich, noch einmal hineinzuschauen, sondern ging weiter ins Treppenhaus und stieg nach oben.
In der Wohnung, die nun ebenfalls Hilma und Dela gehörte, wartete ihre Kinderfrau auf sie. Diese hatte Fritz schon in seine Reisekleidung gesteckt, die aus graukarierten Hosen und einer Jacke von gleicher Farbe bestand. Auf seinem Kopf saß eine ebenfalls graue Mütze, und darunter blickten die blauen Augen fragend in die Welt. Bislang war das Kind nur selten aus dem Haus gekommen und maulte, weil seine Spielzeuge in eine Kiste gepackt und nach unten gebracht worden waren.
»Mama!«, rief Fritz, als er Hedes ansichtig wurde, und streckte die Arme nach ihr aus. Sie hob ihn auf und trug ihn nach unten. Da sie sich bereits von den Räumen verabschiedet hatte, die so viele Jahre ihr Heim gewesen waren, wollte sie nun so rasch wie möglich fort.
Kaum hatte sie mit dem Jungen auf dem Arm das Erdgeschoss erreicht, sah sie sich Hilma und Dela gegenüber. Die beiden wirkten etwas unsicher, traten dann aber lächelnd auf sie zu und streckten ihr ein kleines Päckchen entgegen.
»Die Mädchen und wir haben zusammengelegt und eine Kleinigkeit gekauft. Wir wollen uns bedanken, weil Sie uns immer gut behandelt haben«, erklärte Hilma.
»Ich wollte, ich hätte mehr für euch tun können.« Hede nahm das Päckchen entgegen und klemmte es sich unter den Arm, auf dem sie Fritz trug.
»Macht es gut!« Tränen stiegen in ihr auf, und sie spürte, wie ihr die Kehle eng wurde. Mit dem freien Arm drückte sie die beiden jungen Frauen kurz an sich. Dann nickte sie ihnen zu und verließ zum ersten Mal, seit sie denken konnte, das
Le Plaisir
durch den Hintereingang.
Auf dem Hof schälte Anton sich aus dem Halbdunkel. Er steckte in einem altmodischen Zivilanzug und wirkte auf Hede, die ihn zumeist in seinen Phantasieuniformen gesehen hatte, seltsam fremd, aber daran würde sie sich gewöhnen müssen. Anton hatte darauf verzichtet, weiterhin Türsteher im
Le Plaisir
zu bleiben, sondern kam als Diener mit ihr. Auch dies machte Hede den Abschied von ihrem bisherigen Leben leichter.
Anton nahm ihr den Knaben ab und sah sie lächelnd an. »Die Droschke steht an der nächsten Straßenecke bereit, gnädige Frau.«
»Danke!« Mit einer energischen Handbewegung wischte Hede sich die Tränen aus den Augen und verließ den Hinterhof, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Ihr Sohn strampelte in Antons Armen. »Mama, wohin gehen wir?«
»Nach Hause«, antwortete Hede und spürte, wie sehr sie sich auf ein ruhiges und von keinen Aufregungen getrübtes Leben freute.
V.
K aum war die ungewöhnliche Verlobung auf Nehlen gefeiert worden, schmiedeten Lore und Dorothea Pläne für die Hochzeitsfeier. Gelegentlich dachte Lore dabei an Ottwald von Trettins Tod, empfand aber kein Mitgefühl für den Toten oder dessen Mutter. In ihren Augen hatte Fridolins Neffe mit dem Anschlag auf Nathalia sein Ende selbst verschuldet. Noch immer war das Ausmaß der Intrige nicht restlos aufgeklärt, und daher hatte Fridolin den Berliner Detektiv Dirk Maruhn beauftragt, in aller Diskretion weiterzuforschen.
Ein paar Tage später kam ein Brief von ihrer Haushälterin Jutta Knoppke aus Berlin, in dem diese ihr mitteilte, dass ihre Schmuckkassette verschwunden sei. Zusammen mit Johann Ferber hatte die Mamsell sofort das restliche Personal befragt, und dabei war Luise, eines der neueren Dienstmädchen, zusammengebrochen. Wie es aussah, hatte diese Ottwald von Trettin dabei geholfen, den Schmuck zu stehlen. Nun schlug Lore sich mit der Frage herum, ob sie Luise den Behörden übergeben lassen sollte. Von Fridolin wusste sie, dass dieser die wertvollsten Schmuckstücke noch vor dem Diebstahl zur Bank gebracht hatte. Damit beschränkte sich ihr Verlust auf wenige hundert Mark und einige schöne Erinnerungen. Durfte sie deswegen das Leben einer jungen Frau zerstören? Wenn sie Luise anzeigte, würde diese unweigerlich auf die schiefe Bahn geraten.
Daher nahm sie Papier und Stift zur Hand und wies Jutta in ihrem Antwortbrief an, Luise erst ins Gewissen zu reden, sie dann zu entlassen und mit einem Monatslohn abzufinden. Wenn das Mädchen klug war, würde es den richtigen Weg wählen. Wenn nicht, so brauchte sie sich nicht mit der Frage zu
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