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Juliregen

Juliregen

Titel: Juliregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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belasten, ob sie Luise hätte retten können.
    Auf Lores Läuten hin erschien die alte Erna. »Gnädige Frau wünschen?«
    »Dieser Brief muss heute noch zur Post!« Lore reichte der Magd das Schreiben, lehnte sich auf ihren Stuhl zurück und schloss die Augen.
    Plötzlich schlang jemand die Arme um sie, und als sie aufsah, stand Nathalia neben ihr. Das Mädchen wirkte bedrückt, und Lore fürchtete schon, dass es zwischen ihrer Freundin und Jürgen Zwist gegeben habe.
    Da holte Nathalia ganz tief Luft. »Lore, du erinnerst dich doch gewiss noch an meine angeheiratete Verwandte Ermingarde.«
    »Leider nur zu gut.« Lore zog ein Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Diese Frau hatte vor Jahren alles versucht, um ihren Sohn Gerhard zu Nathalias Vormund zu machen und sich damit in den Besitz des Retzmann-Vermögens zu setzen.
    »Dann wird es dich gewiss nicht betrüben, dass Ermingarde in die ewigen Jagdgründe eingegangen ist, und mit ihr gingen Armgard und Gerhard!«
    »Ewige Jagdgründe! Nathalia, was hast du in letzter Zeit gelesen?«
    »Ein paar Romane aus Jürgens privater Bibliothek. Sie wurden von einem Sachsen namens Karl May verfasst.«
    »Gehört habe ich von dem Mann, aber gelesen noch nichts. Doch wenn er solche Worte wie ewige Jagdgründe verwendet, werde ich das wohl auch nicht tun.«
    Jetzt erst drang der Sinn von Nathalias Worten zu ihr durch. »Was sagst du da? Ermingarde Klampt ist tot?«
    »Samt Sohn und Tochter! Ich habe es gestern erfahren. Entfernte Verwandte von Ermingarde haben sich an mich gewendet und angefragt, ob ich ihnen die Kosten für die Bestattung ersetzen könnte. Sie selbst befänden sich nicht in so glücklichen Umständen wie ich.« Nathalias Schnauben verriet, was sie von solcher Bettelei hielt.
    »Alle drei sind tot! Wie ist das geschehen?«, fragte Lore.
    »Eine Gasexplosion! Das ganze Haus soll eingestürzt sein! Die Behörden nehmen an, dass sie unsachgemäß mit der Lampe hantiert haben. Auf die Weise sind wir sie endgültig losgeworden.«
    Lore bedachte ihre Freundin mit einem strafenden Blick. »Nati, so etwas sagt man nicht! Auch wenn Tante Ermingarde und ihre Familie zugegebenermaßen keine angenehmen Zeitgenossen waren, so erschüttert es mich doch zu hören, dass sie ihr Leben durch ein solch schlimmes Unglück verloren haben!«
    Nathalia machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es tut mir leid, aber ich kann nicht um Ermingarde und deren Nachkommenschaft trauern. Dafür haben sie mir das Leben zu sehr vergällt. Übrigens soll Gerhard Klampt ein guter Freund dieses Manfred Laabs gewesen sein. Dazu kommt, dass Ottwald und Malwine von Trettin mehrere Wochen bei Ermingarde gewohnt haben. Dämmert es dir langsam?«
    Da Lore sie verständnislos ansah, lachte Nathalia bitter auf. »Ich bin sicher, dass Gerhard Klampt und dieser elende Ottwald den Plan meiner Entführung gemeinsam ausgeheckt haben. Gewiss war die Gasexplosion genau an jenem Tag, an dem Ottwald ums Leben gekommen ist, die Strafe des Himmels für dieses Verbrechen.«
    »Gott sei Dank sind unsere Feinde von uns gegangen«, flüsterte Lore, die nun von den Bildern der schrecklichen Ereignisse eingeholt wurde, und zuckte zusammen, als sie an Malwine dachte, die noch immer auf Trettin weilte und nun auch den Tod ihres zweiten Sohnes zu betrauern hatte. Bei dem Gedanken, diese Frau könnte noch immer darauf sinnen, ihr und Fridolin zu schaden, lief es ihr kalt den Rücken hinunter, und sie beschloss, in Zukunft noch sorgfältiger auf ihre Kinder achtzugeben.
    Sie führte Nathalia in ihren Kaffeesalon, den sie mit den Barockmöbeln vom Speicher eingerichtet hatte, bat Nele, in der Küche Kaffee und Kuchen zu besorgen, und unterhielt sich angeregt mit ihrer Freundin, die sich offensichtlich ebenso gerne von den schrecklichen Berlin-Erlebnissen ablenken ließ wie sie. Unwillkürlich kamen sie auf jenen Dezembertag vor fast zwölf Jahren zu sprechen, an dem sie sich kennengelernt hatten.
    Nathalia wischte sich ein paar Tränen aus den Augen, als sie an ihren Großvater dachte, der sie Lore anvertraut hatte, bevor er selbst auf der
Deutschland
umgekommen war.
    »Ich hoffe, er ist zufrieden damit, was aus mir geworden ist«, sagte sie ungewohnt kleinlaut.
    Lore nahm die Hände ihrer Freundin in die ihren und nickte. »Graf Retzmann wird stolz auf dich sein und sich oben im Himmel freuen, dass du dein Glück gefunden hast.«
    »Das habe ich dir zu verdanken.« Nathalia umarmte Lore und schüttelte dann lachend

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