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Juliregen

Juliregen

Titel: Juliregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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beleidigend empfinden musste.
    Doch da griff Graf Nehlen ein. »Gräfin, Komtess, Sie sind zu einer guten Zeit gekommen! Heute sind meine beiden Großneffen Adolar und Edgar eingetroffen und werden ebenso wie Jürgen einige Wochen bleiben. Wenn sie wieder abreisen, werde ich einen von ihnen zu meinem Erben bestimmt haben.«
    Diese Worte empfand Lore als arg unverblümt, doch sie sagte sich, dass die Menschen auf dem Land nun einmal direkter waren als Städter und unnötige Ziererei mieden. Sie bedachte Leutnant von Bukow mit einem knappen Gruß und wandte sich dann Edgar von Gademer zu. Dieser überragte sie ein ganzes Stück, obwohl sie selbst nicht gerade klein war, Nathalia aber reichte ihm gerade bis zur Brust. Dazu hatte Gademer breite Schultern und große Hände, die wie geschaffen dafür schienen, die Zügel eines Vierer- oder gar eines Sechsergespannes zu führen. Auf dem breiten Nacken saß ein wuchtiger Kopf mit einem nicht sonderlich hübschen, aber auch nicht hässlichen Gesicht. Lore hätte es offen genannt, hätte nicht ein lauernder Ausdruck in den wasserhellen Augen gelegen. Wie es aussah, hatte er die Konkurrenzsituation mit seinen beiden Vettern angenommen und war bereit, alles zu tun, um als Sieger daraus hervorzugehen.
    Je länger sie ihn betrachtete, desto weniger gefiel er ihr. Da war ihr sogar Adolar von Bukow noch lieber. Während dieser in schmucker Uniform erschienen war, den Schnurrbart schneidig gezwirbelt, und jene blasierte Miene zur Schau trug, die Städter in einer ländlichen Umgebung so gerne aufsetzten, wirkte von Gademer verbissen. Als er Nathalia anblickte, geschah dies auf eine abschätzende Weise, so als hätte er ein Stück Milchvieh vor sich, das er zu bewerten hatte. Wie es aussah, hielt er gleich Rodegard von Philippstein wenig von jungen Damen, die schneidig kutschieren konnten.
    Jürgen Göde, der dritte Großneffe des alten Grafen, stand unbeachtet im Hintergrund. Weder seine beiden Verwandten Bukow und Gademer noch die Damen Philippstein schienen ihn wahrzunehmen.
    Gerade das reizte Lore, auf ihn zuzugehen und ihm die Hand zu reichen. »Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Herr Göde. Haben Sie sich bereits ein wenig auf Nehlen eingelebt?«
    »Danke der Nachfrage, gnädige Frau! Nachdem Komtess Retzmann und Sie so freundlich waren, mich nach Nehlen zu bringen, habe ich hier einen angenehmen Aufenthalt gefunden. Mein Herr Onkel hat mir in seiner Güte erlaubt, seine Bibliothek zu benützen. Es sind etliche wundervolle Bücher vorhanden, die zu lesen mir eine Freude sein wird.«
    Lore begriff, dass Jürgen nach der Begegnung mit seinen Vettern keinerlei Hoffnung mehr hegte, aus dem Wettbewerb um das Erbe als Sieger hervorzugehen, und er daher das Beste aus seinem Aufenthalt auf Nehlen zu machen gedachte. Dies verstärkte ihre Sympathie für ihn, und sie bedauerte, dass er so stark im Schatten seiner beiden adeligen Vettern stand.
    Im Gegensatz zu ihr kümmerte Nathalia sich nicht um Jürgen, sondern verwickelte Leutnant von Bukow in ein Gespräch. Dieser antwortete höflich, verkniff sich aber jegliche Komplimente, da er noch nicht wusste, wie er die Anwesenheit Rodegard von Philippsteins und deren Tochter einschätzen sollte. Da die beiden ebenfalls mit seinem Großonkel verwandt waren, bestand durchaus die Möglichkeit, dass Graf Nehlen eine Heirat zwischen seinem erkorenen Erben und Fräulein Gottlobine plante. Daher durfte er die Damen Philippstein keinesfalls gegen sich aufbringen, indem er Nathalia zu vertraulich behandelte. Andererseits jedoch stellte diese einen Notnagel dar, wenn es mit dem eigenen Erbe nichts werden sollte.
    Gewohnt, in den Berliner Salons zu glänzen, versuchte er diese Klippe elegant zu umschiffen und widmete sich beiden jungen Frauen gleichermaßen.
    Doch als Rodegard von Philippstein sich räusperte, wandte er sich ihr zu. »So ein Aufenthalt auf dem Land hat seinen eigenen Reiz. Nicht wahr, gnädige Frau?«
    »Wenn man nicht von Leuten totgefahren wird, die besser nicht die Zügel in die Hand nehmen sollten.« Frau von Philippstein warf Nathalia einen vernichtenden Blick zu. Ihr gefiel es ganz und gar nicht, dass die reiche Erbin hier ein und aus zu gehen schien.
    Da das Gespräch zu erlahmen drohte, machte Graf Nehlen den Vorschlag, ins Haus zu gehen und eine Erfrischung zu sich zu nehmen.
    »Aber nur zu gerne, lieber Onkel«, erklärte Frau Rodegard und reichte ihm den Arm, so dass er nicht umhinkonnte, sie ins Haus zu führen.
    Leutnant

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