Juliregen
anderen Herrschaften jetzt zu verlassen. Ich muss mich mit meinem Gutsinspektor beraten. Sie können entweder hier bleiben, im Park spazieren gehen oder sich auf Ihre Zimmer zurückziehen.«
»Ich darf Sie doch begleiten, verehrter Onkel?«, fragte Edgar von Gademer.
Der Graf überlegte kurz und nickte. »Warum nicht? Dann können Adolar und Jürgen auch mitkommen. Ich will sehen, wie viel sie von den Pflichten eines Gutsbesitzers verstehen.«
Von Gademer lächelte selbstzufrieden. Schließlich hatte er nicht zuletzt deshalb Agrarwirtschaft studiert, um seinem Erbonkel schönzutun.
Unterdessen wandte Rodegard von Philippstein sich an Graf Nehlen. »Meine Tochter und ich würden gerne ein wenig im Park lustwandeln. Gibt es dort eine Stelle, die vor der Sonne geschützt ist? Ich will nicht, dass Gottlobine einen Teint wie eine Bäuerin bekommt.«
»Wenn Sie über die Terrasse hinausgehen, meine Liebe, und den zweiten Parkweg nach links wählen, treffen Sie bei dem kleinen See auf einen Pavillon«, erklärte der Graf zuvorkommend.
Gottlobine hob erschrocken die Hände. »Am See? Da gibt es gewiss Bremsen!«
»Dann gehen Sie eben statt nach links nach rechts und setzen sich in die Gartenlaube mitten im Park. Dort sind Sie sowohl vor den Strahlen der Sonne wie auch vor Bremsen gefeit.« Graf Nehlen verbeugte sich kurz und sah dann Lore und Nathalia an.
»Kann ich für Sie noch etwas tun?«
Bevor Lore etwas sagen konnte, schüttelte Nathalia den Kopf. »Wir werden in aller Ruhe unsere Gläser austrinken und uns dann verabschieden, Graf Nehlen. Schließlich will Gräfin Trettin noch bei Tageslicht nach Hause kommen.«
»Das gelingt Ihnen auch noch, wenn Sie erst in zwei Stunden aufbrechen!« Der alte Herr lachte kurz und bedachte Lore mit einem Blick, der ihr verriet, dass er sie für arg zaghaft hielt, lächelte dann aber Nathalia zu. »Rufen Sie nach mir, wenn Sie abfahren wollen, damit ich mich verabschieden kann.« Er winkte seinen Großneffen, ihm zu folgen, und verließ das Haus.
Rodegard von Philippstein warf Lore und Nathalia einen missbilligenden Blick zu und stand auf. »Ich werde mich bereits jetzt von Ihnen verabschieden, Gräfin Trettin, und auch von Ihnen, Komtess. Kommen Sie gut nach Hause!«
Ihrer Miene nach wünschte sie sich eher, dass die beiden unwillkommenen Besucherinnen mit dem Gig verunglückten und sie dadurch die Zeit gewann, ihre Pläne durchzuführen.
»Auf Wiedersehen, liebe Frau von Philippstein«, antwortete Lore lächelnd, während Nathalia sich mit einem knappen Knicks begnügte.
Doch kaum waren Frau Rodegard und deren Tochter gegangen, huschte Nathalia hinter den beiden her.
»Was machst du?«, wollte Lore noch rufen, doch da lief Nathalia bereits über die Terrasse in den Park hinein.
Voller Schrecken sah Lore, wie ihre Freundin auf die Gartenlaube zuhielt und sich dieser vorsichtig von hinten näherte. Wie es aussah, wollte Nathalia Rodegard von Philippstein und deren Tochter belauschen. Bei dem Gedanken, was die Damen sagen würden, wenn sie ihre Freundin entdeckten, wurde Lore flau im Magen. Nathalia galt in der tonangebenden Gesellschaft von Berlin bereits jetzt als Freigeist. Hetzten die beiden Philippsteinerinnen noch mehr gegen sie, würden sich ihr etliche Türen verschließen. Zu ihrem Leidwesen blieb Lore jedoch nichts anderes übrig, als sich von der Terrassentüre zurückzuziehen und zu hoffen, dass ihre Freundin unbemerkt blieb.
VI.
N athalia wusste selbst nicht recht, was sie antrieb, den Philippsteinerinnen zu folgen. Es mochte der Ärger sein, weil diese ihr die kalte Schulter gezeigt hatten, aber auch Neugier. Des Risikos war sie sich dabei durchaus bewusst. Wurde sie entdeckt, musste sie mit bösen Worten und Verleumdungen rechnen.
Sie verließ den Kiesweg und schlich über den Rasen auf die Gartenlaube zu. Zu ihrem Glück war die Hecke, die diese umgab, sehr dicht und verbarg sie vor den Augen der beiden Frauen, die sich auf einer hölzernen Bank im Schatten niedergelassen hatten. Dabei achteten die Philippsteinerinnen ohnehin kaum auf ihre Umgebung, stattdessen redete die Mutter eifrig auf Gottlobine ein. Obwohl sie leise sprach, konnte Nathalia das meiste verstehen.
»Du wirst genau das tun, was ich dir sage, hast du mich verstanden?« Frau Rodegard machte eine kurze Pause, als erwarte sie eine Antwort.
Das »Ja, Mama!« erahnte die Lauscherin jedoch mehr, als sie es hörte.
»Sehr gut«, fuhr Rodegard von Philippstein fort. »Es ist nämlich
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