Juliregen
Bukow war um einen Lidschlag langsamer als sein Vetter Gademer, der sofort Gottlobines Arm ergriffen hatte. Doch als er die leicht schmollende Miene des Mädchens bemerkte, war er sogleich versöhnt. Auch wenn sein Vetter eine Handbreit größer war als er, machte er selbst eine weitaus bessere Figur. Er versuchte nun, Nathalia als Begleiterin zu gewinnen, doch da schob Lore sich vor diese, und er musste dieser den Arm reichen, wollte er nicht als ungezogen gelten. Als Letzte folgten Nathalia und Jürgen Göde, die anders als die anderen Paare schweigend nebeneinander hergingen.
V.
G raf Nehlen ließ Getränke und einen kleinen Imbiss in der etwas düsteren Kammer servieren, die er dem großen Saal und dem Speisezimmer vorzog. Zwar hätte Rodegard von Philippstein sich einen weniger bäuerlich wirkenden Rahmen gewünscht, doch als ein Diener einen Kandelaber mit drei Kerzen auf den Tisch stellte, war sie versöhnt. Zudem stellte sie wohlwollend fest, dass Edgar von Gademer ihrer Tochter nach wie vor den Hof machte und Nathalia von Retzmann gar nicht wahrzunehmen schien, während Leutnant Bukow sich zwar neben Lore gesetzt hatte, aber immer wieder zu ihr und Gottlobine herüberblickte, als zöge er ihre Gesellschaft vor.
»Sie haben einen ansehnlichen Besitz, mein lieber Großonkel!« In Rodegards Stimme schwang nicht wenig Neid mit.
Dieser nickte gnädig. »Nehlen ist das drittgrößte Gut in diesem Landstrich nach Komtess Nathalias Besitz Steenbrook und Gut Klingenfeld. Und was den Ertrag betrifft, steht es sogar an zweiter Stelle.«
Sogleich ruckte der Kopf seines Großneffen Gademer herum. »Sie sind Herrin über ein eigenes Gut?«, fragte er Nathalia.
»So kann man es nennen.« Um Nathalias Lippen spielte ein boshaftes Lächeln. Sie hatte längst begriffen, dass Rodegard von Philippstein dem Vetter, der Gnade vor den Augen seines Großonkels finden würde, die Tochter als Ehefrau andienen wollte. Da sie sich nicht zum ersten Mal über die Dame ärgerte, nahm sie sich vor, ihr diese Suppe zu versalzen. Daher erzählte sie von Steenbrook und setzte wie nebenbei hinzu, dass dieser Besitz nur einen kleinen Teil ihres Vermögens ausmache.
Rodegard von Philippstein schnappte nach Luft. Die Herren von Bukow und von Gademer hingegen waren ganz Ohr. Obwohl der Leutnant mehrfach vernommen hatte, die Komtess sei eine reiche Erbin, war ihm nicht bekannt gewesen, dass deren Vermögen so gewaltig war.
»Das ist ja kolossal!«, rief er aus, als Nathalia erklärte, der größte Teil ihres Erbes bestünde aus Anteilen am Norddeutschen Lloyd in Bremen.
»Daneben hat mein Vormund Teile meines Vermögens in einer Werft und einer kleineren Reederei angelegt«, setzte Nathalia stolz hinzu.
»Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Komtess Nathalia eine ausgezeichnete Partie ist. Wäre ich nur ein paar Jahre jünger, würde ich mein Glück bei ihr versuchen!« Grimbert von Nehlen war über den Besuch der beiden Damen Philippstein nicht besonders erfreut und ging daher bereitwillig auf Nathalias Spiel ein.
Diese musterte ihn kurz und nickte lächelnd. »Eine solche Ehe wäre eine Ehre für mich. Vor allem aber würde sie zwei große Vermögen zusammenführen und uns unbestreitbar auf den ersten Platz der Besitzenden im weiten Umkreis setzen.«
Lore schloss die Augen und hoffte, dass dieser Nachmittag bald vorüber sein würde, denn Nathalia benahm sich einfach schamlos. Gleichzeitig empfand sie Verachtung für Leutnant Bukow und dessen Vetter Gademer, die an den Lippen der Komtess hingen, als könnten sie nicht genug über deren Besitzverhältnisse erfahren. Jürgen Göde hingegen saß als stiller Beobachter in einer Ecke.
Schließlich hielt Rodegard von Philippstein es nicht mehr aus. »Es ist gewiss sehr angenehm für Sie, Komtess Nathalia, über solche Reichtümer zu verfügen. Doch können alle Schätze der Welt nicht die Herzensbildung einer jungen Frau ersetzen, so wie sie meine Gottlobine auszeichnet. Sie ist …«
Es folgte ein längerer Vortrag, in dem die Dame die Vorzüge ihrer Tochter aufzeigte. Dies geschah nicht nur für die beiden jungen Herren, die sich offen Chancen ausrechneten, den alten Grafen einmal beerben zu können, sondern auch für diesen selbst.
Grimbert von Nehlen lauschte auch eine Zeitlang geduldig, hob dann aber die Hand. »Es ist gewiss ein Segen, so eine gehorsame, bescheidene und sittsame Tochter sein Eigen nennen zu können, meine liebe Nichte. Doch erlauben Sie mir, Sie und die
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