Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Juliregen

Juliregen

Titel: Juliregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
das Wagenpferd von ihm ausgebildet worden.
    Nathalia bog knapp vor einem Heufuhrwerk auf die Landstraße ein und überholte kurz darauf einen anderen Wagen so scharf, dass Lore schon glaubte, das Gig würde ihn streifen. Doch Nathalia gelang das Kunststück, sowohl dem anderen Gefährt auszuweichen wie auch so knapp am Straßengraben vorbeizufahren, dass zwar ein Teil des Rades überragte, aber nicht abrutschte. Gleich darauf hatten sie wieder freie Bahn, und der Wallach trabte übermütig vor dem kleinen Wagen dahin.
    »Das war schneidig, Komtess«, lobte Drewes, obwohl er ebenso wie Lore für einen Moment den Atem angehalten hatte.
    »Das ist auch kein Wunder. Immerhin hast du mich kutschieren gelehrt«, gab Nathalia das Kompliment zurück und wies dann mit dem Kopf auf Lore. »Du wirst auch Gräfin Trettin darin unterrichten müssen, Drewes.«
    »Wenn Komtess es wünschen.« Drewes zeigte sich nicht übermäßig begeistert, denn er hielt Lore für eine der Stadtdamen, in deren Augen ein Pferd ein wildes Raubtier war, das nur von einem todesmutigen Kutscher gebändigt werden konnte.
    Lore wollte schon ablehnen, dachte aber im nächsten Moment, dass Nathalia sie als feige verspotten würde, und sagte mit zusammengebissenen Zähnen: »Es würde mich freuen.«
    Während der nächsten Kilometer fand sie jedoch tatsächlich zunehmend Gefallen an der Ausfahrt. Noch während sie darüber nachsann, hörte sie Nathalia leise schimpfen.
    »He, kannst du nicht zur Seite fahren?«, rief die Komtess schließlich laut, doch der Lenker des Fuhrwerks vor ihnen blieb mitten auf der Straße, so dass nicht einmal Nathalia ein Überholmanöver wagte.
    »Dem Kerl sollte man die Peitsche um die Ohren schlagen!« Nathalia schnaubte zornig, doch blieb ihr nichts anderes übrig, als den Wallach zu zügeln und hinter dem anderen Wagen herzufahren. Kaum war der Weg nach Nehlen erreicht, gab sie dem Rappen wieder den Kopf frei und bog schließlich in forschem Tempo auf die Allee zum Gutshof ein.
    Auf dem Vorplatz standen bereits etliche Kutschen und Fuhrwerke. Nathalia bremste im letzten Moment, warf Drewes die Zügel zu und sprang leichtfüßig vom Wagen. Lore zögerte jedoch, denn sie hatte bereits gesehen, dass nicht nur Graf Nehlen, Leutnant Bukow und Jürgen Göde vor dem Gutshaus standen, sondern ein weiterer Herr im grünen Lodenanzug sowie mehrere Frauen, in denen sie auf den zweiten Blick Rodegard von Philippstein und deren Tochter Gottlobine erkannte. Die verkniffene Miene der älteren Frau zeigte deutlich, wie wenig sie von Nathalias Fahrkünsten hielt.
    Lore seufzte. Wie sie Frau Rodegard kannte, würde diese nach ihrer Rückkehr nach Berlin nach Strich und Faden über Nathalia herziehen. Während Lore noch darüber nachsann, wie es die beiden Großstadtdamen hierher verschlagen haben mochte, trat Graf Nehlen auf Nathalia zu und reichte ihr die Hand. »Willkommen, Komtess! Es freut mich, Sie hier zu sehen, und Sie natürlich auch, Gräfin Trettin!«
    Mit den Worten trat er an das Gig und reichte Lore die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Lore lächelte den alten Herrn warmherzig an. »Danke, Graf Nehlen! Wir dachten, an einem so schönen Tag wäre ein Ausflug hierher genau das Richtige.«
    »Vor allem, weil die beiden Neffen heute eingetroffen sind«, raunte Rodegard von Philippstein ihrer Tochter verärgert zu. Sie hatte eine entfernte Verwandtschaft zu Grimbert von Nehlen zum Anlass genommen, sich selbst einzuladen, denn sie beabsichtigte, jenen Großneffen, der einmal der Erbe des Grafen sein würde, als Ehemann für ihre älteste Tochter zu gewinnen. Umso mehr ärgerte sie sich, Nathalia von Retzmann hier auftauchen zu sehen. Die Komtess war nicht nur um einiges hübscher als Gottlobine, sondern besaß auch ein Vermögen, das selbst den ehrenwertesten Mann dazu bewegen mochte, die vielen Fehler dieses Frauenzimmers zu übersehen.
    Ihren schwarzen Gedanken zum Trotz begrüßte sie Lore scheinbar erfreut, sah dann aber Nathalia missbilligend an. »Ich finde es bereits bei einem Herrn äußerst ungehörig, mit seinem Wagen ein Tempo einzuschlagen, das zwangsläufig einen Unfall nach sich ziehen muss. Eine junge Dame sollte sich, wenn sie überhaupt die Zügel in die Hand nimmt – was ich keineswegs gutheiße –, noch viel mehr eines gemächlichen Schrittes befleißigen.«
    Nathalias Augen blitzten angriffslustig auf, und Lore befürchtete, sie würde Rodegard von Philippstein in einer Weise antworten, die diese als

Weitere Kostenlose Bücher