Julius Lawhead 2 - Flammenmond
schrie, wie er auch in den Erinnerungen geschrien hatte, und der Meister trank die Angst meines Vampirs, als sei sie Blut. Ich bekam Panik. Das durfte er nicht! Es war gegen die Regeln! Brandon warf ihm die Bilder wie Waffen entgegen, doch Roth verschlang sie hungrig und grub nach mehr. Er war unersättlich.
»Das muss sofort aufhören!«, schrie Curtis.
Ich nutzte die Schwüre, tauchte in Brandons Geist und versuchte den fremden Meistervampir zurückzudrängen. Natürlich war ich seiner Kraft nicht gewachsen, aber er wurde kurz abgelenkt. Roth fing sich schnell. Brandon schrie und ich schrie mit ihm, als tausend Messer durch meine Adern krochen und meinen Leib verwüsteten. Ich fühlte nur noch, wie ich sank, tiefer und tiefer. Ich stürzte in eine Schlucht und es gab kein Ende. Die Wände rasten an mir vorbei und sie rückten immer näher. Es wurde eng. Bis ich in der Dunkelheit spürte, dass sie meine Schultern streiften und mich zusammenpressten, aber ich fiel dennoch und niemand fing mich auf. Dann lag ich plötzlich in der Erde. Ein anderer Alptraum. Druck, Enge, Panik, Hunger!
In der Ferne tönten Stimmen, doch ich verstand sie nicht. Dann wich die Enge einem neuen Eindruck, und ich hatte das Gefühl, zu verbluten, zu schrumpfen und schließlich zu verdorren.
Tief in einem kleinen Winkel meines Verstandes wusste ich, dass Roth auch meine Alpträume las und sich daran satt trank, als sei es die köstliche Speise.
Curtis’ Magie dröhnte in meinem Körper, kurz rang er mit Roth, und dann war der Schmerz endlich fort. Als ich die Augen öffnete, war die Welt verschwommen, und ich lag auf der Seite. Schritte entfernten sich, und dann kam die Stille alter Räume hereingeschwebt und legte sich wie eine angenehme Decke auf meinen Körper. Langsam machte sich mein Verstand ein Bild von der Situation. Die Richter und auch Curtis waren fortgegangen. Ich lag auf dem Boden. Ich wusste nicht, wie ich dorthin gekommen war, aber offensichtlich hatte ich den Kampf gegen Roth verloren. Irgendwo rang jemand nach Luft. In jedem Atemzug tanzte rasender Herzschlag und der bittere Geschmack von Angst. Das war Brandon, ich wusste, dass er es war, spürte ihn, roch ihn. Vorsichtig richtete ich mich auf.
Wo war er? Der Raum schien leer. Dann fand ich ihn.
Er hockte unter dem Richtertisch. Die Arme um die angezogenen Beine geschlungen, Gesicht hinter den Haaren verborgen, wippte er ruckartig vor und zurück. Als könnte ihm das Böse dieser Welt nichts anhaben, wenn er sich nur klein genug machte. Aber den eigenen Erinnerungen konnte niemand entfliehen. Sie fanden jedes noch so kleine Versteck. Ich kroch zu ihm.
All das, was ihm der Sonnentanz gegeben hatte, war mit einem Schlag fort, ausgewischt, ausgelöscht. Brandon war wieder zurück in seinem Alptraum, gefangen in einer Endlosschleife aus Terror und Schande. Hätten wir ihn lieber mit seiner zurückgewonnenen Ehre im Herzen sterben lassen sollen? Vielleicht. Es war sein Wunsch gewesen. Aber er hatte wieder nicht für sich entscheiden dürfen. Stattdessen hatten wir ihn noch einmal gefoltert.
»Brandon?«
Er hielte kurz in seiner monotonen Wippbewegung inne, dann nahm er sie wieder auf. Vor und zurück, vor und zurück.
Ich versuchte es mit seinem neuen Namen, den ihm Red Deer gegeben hatte. Brandon hob den Kopf, lehnte ihn auf seine Knie und sah mich an.
Ich war schrecklich erleichtert. Langsam klärte sich sein Blick und er verharrte.
»Ist es vorbei, Meister?«, fragte er unsicher.
»Ja, ja, es ist vorbei, sie sind fort.«
Wir hatten Hermann Roths Stimme verloren, nein, falsch, wir hätten sie niemals erringen können. Dieser Vampir nährte sich von Angst, wie Coe es getan hatte. Jetzt war ich mir sicher, dass er und Coe nicht nur Freunde gewesen waren, sondern auch aus der gleichen Blutlinie stammten.
Unsere ganze Hoffnung lag nun bei Vivien Le Roux. Kangras Stimme hatten wir, also war sie das Zünglein an der Waage. Oh, wie ihr diese Rolle gefallen musste. Sogar sie war von den Bildern geschockt gewesen. Aber reichte das, um sie ihre Abneigung gegen Curtis und mich vergessen zu lassen? Was wog mehr, Mitgefühl oder Hass? Bei Vivien war ich mir nicht sicher.
Endlich wurde die Tür aufgestoßen, und Amber und Christina zwängten sich durch einen schmalen Spalt hinein.
Christina rannte zu uns, hockte sich vor den Tisch und streckte eine Hand nach Brandon aus. Er starrte auf ihre schlanken Finger. Sie wartete geduldig, und nach einem Augenblick, der eine
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