Julius Lawhead 2 - Flammenmond
selbst häufiger dabei erwischt, dass sie Gespräche belauschte, die eigentlich in sicherer Entfernung geführt wurden.
Aber die Siegel hatten auch ihre negativen Seiten. Amber konnte Julius zwar mit einiger Mühe aus ihren Gedanken fernhalten, aber bis zu diesem Tag hinderte ihn nichts daran, sich jederzeit ihrer Kraft zu bedienen. Er wäre sogar in der Lage, ihr durch die Siegel so viel Energie zu rauben, dass sie einfach zusammenbrach. Ein Fall, der zum Glück noch nicht eingetroffen war und den sie auch in Zukunft um jeden Preis verhindern wollte.
Die Siegel waren Fluch und Segen, und Amber hatte Julius nie gänzlich verziehen, dass er ihr das erste aufgezwungen hatte.
Das zweite und dritte Siegel hatte er sich wie ein Jahrmarktspieler durch simple Tricks ergaunert, doch jetzt war Schluss. Ambers Worte waren deutlich ausgefallen. Noch eine Trickserei, noch ein Versuch, sie mit Vampirmagie gefügig zu machen, um ihr das vierte Siegel abzuluchsen, und ihre Beziehung wäre beendet.
Julius hatte Ruhe gegeben. Er liebte sie und wollte nichts riskieren. Für die fehlenden zwei brauchte er ihre Mitarbeit und die bekam er nicht. Nicht in hundert Jahren!
Er hatte aufgehört zu fragen, doch Amber wusste auch so, was er ersehnte. Das war ein Effekt ihrer magischen Verbindung, sie kannte die innigsten Wünsche ihres Vampirs. Aber wollte sie sich wirklich für den Rest ihres Lebens an einen Mann binden, den sie kaum kannte und der zudem ein Vampir war? Eine blutdurstige Seele in einem toten Körper?
Brandon hatte die schlafende Christina aus ihrem Sarg gehoben und zur Tür getragen. Nun saß er auf den Stufen des Wohnwagens und sah hinaus. Der Schatten des Airstream schützte ihn vor dem schwächer werdenden Licht der Abenddämmerung.
Während Christinas Körper in seinen Armen weicher wurde, genoss er die Stille und den Anblick endloser Weite.
Die Wüste erstreckte sich bis zum Horizont. Gras neigte sich im Wind. Knorrige Büsche, gebeugt wie alte Krieger, trie ben winzige blaue Blüten. Im kleinen Ort Cameron war alles noch so wie in den Tagen seiner Kindheit, als er Schafe gehütet und Tiere mit der Schleuder erlegt hatte, um ihre Felle zu verkaufen. Viel zu schnell würde er nach Los Angeles zurückfahren müssen und dem Land seiner Vorväter für die Länge eines weiteren Menschenlebens den Rücken kehren.
Der Gedanke an die Großstadt brachte unweigerlich auch den an seinen neuen Meister mit sich. Kurz darauf fühlte er dessen Präsenz.
»Nimm von meiner Kraft, so viel du brauchst« , bot er sogleich an.
»Wenn ich hier wieder rauskomme, hast du verdammt viel gut bei mir« , antwortete Julius.
»Du bist mein Meister … und mein Freund.«
Es fiel Brandon schwer, diese beiden Worte in einem Atemzug zu nennen. Sein Schöpfer, der alte Meistervampir Nathaniel Coe, war ein sadistisches Monster gewesen, und nach dessen Tod und Jahren des Herumirrens hatte Curtis ihn kühl und scheinbar ohne großes Interesse in seinen Clan aufgenommen. Mit Julius als Herrn schien ein neues Zeitalter angebrochen zu sein.
»Mir hat es damals gutgetan, meine alte Heimat wiederzusehen, auch wenn mein Elternhaus längst nicht mehr steht« , sagte Julius, während er einen steten Energiestrom aus Brandons Körper sog.
»Ich weiß nicht, ob es sinnvoll war herzukommen. Es fällt mir schwer zu trennen. Die Erinnerungen vermischen sich. Coe ist überall. Ich dachte, ich könnte die verdammte Vergangenheit einfach in mir vergraben und vergessen. Doch es geht nicht, es geht einfach nicht!« , antwortete Brandon. »Christina ist bei dir. Rede mit ihr.«
»Sie hat doch keine Ahnung, du hast damals bei unserem Kampf mehr erfahren als jeder andere.«
»Ich hätte niemals deine Erinnerungen hervorzerren dürfen.«
»Bereust du den Kampf?«
»Frag nicht.«
Brandon wartete dennoch auf eine Antwort.
»Ich bereue zutiefst, mich Curtis widersetzt zu haben. Wenn du hören willst, ob ich dein Meister sein will, dann ja, das tue ich. Doch wenn Curtis mir die Wahl unter seinen Vampiren gelassen hätte, so wäre sie nicht auf dich gefallen, und das weißt du, Brandon.«
»Ja, ist mir klar.« Brandon rieb sich die Schläfen und sah in das Gesicht seiner Freundin, die noch immer ganz in den Klauen des Todes gefangen war.
»Manches passiert nicht, weil wir es wollen, Brandon, sondern weil es so für uns bestimmt wurde« , sagte Julius und löste sich aus der Bindung.
Zurück blieb ein kurzes Schwächegefühl und angenehme Wärme.
Christina
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