Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
Vom Netzwerk:
Ablenkungsmaßnahme,
mehr nicht.
    Er schaltete zu den Nachrichten. Der Sprecher verabschiedete sich. Er verwies auf großartige nachfolgende Sendungen, darunter auf einen Krimi, und auf das Wetter.
    Ein ausgeprägtes Azorenhoch sei die Ursache für phänomenale Ereignisse am Himmel über Europa. Strömungsfilme mit bunten Pfeilen. Die Pfeile waren gelb über Spanien, verloren an Farbe und färbten sich auf dem Weg nachDeutschland erst blau, dann tiefviolett. Ein Gegenhoch aus Moskau. Dadurch würden beide Fronten aufeinander zutreiben und – in etwa – über Deutschland zum Stehen kommen. Wo sie abregnen.
    Teils nur schwere Gewitter, in den Niederungen auch Orkanböen. Die Temperaturen der nächsten Tage: von Orange nach Dunkelblau. Schnee in den Alpenländern.
    Die Temperaturprognose für vierzehn Tage stimme durchaus optimistisch. Vor allem an der Nordseeküste könne das Quecksilber bald wieder auf die 20   Grad klettern. Auch der Urlaub in Skandinavien oder auf den Britischen Inseln verspreche den einen oder anderen Sonnenstrahl. Nur wer in Deutschland bliebe, müsse mit einer gewissen Stagnation rechnen.
    Die Stagnation sah für Melchmer nach einer satten Baisse aus. Die Kurve hüpfte noch ein paar Mal wie ein austrudelnder Tennisball, um dann in einen Gulli zu fallen. Aber es war ja nur eine Prognose.
    Anstelle des in den Programmzeitschriften ausgedruckten
Krimis zeigen wir Ihnen einen Brennpunkt zum Sonderthema
»Klimakatastrophe und kein Ende?« Danach eine Dokumentation
von Hans-Ullrich Welker: »Der Euro fällt«–   Wir bitten
um Ihr Verständnis.
    Melchmer schaltete ab.
    Nicht nur der Tomograph bei Brogli ist ein Ablenkungsmanöver, dachte er. Es gibt Geständnisse, die sind so offen und ehrlich, so vollständig und richtig, so frühzeitig   … dass sie nur eines sein können: Ablenkungsmanöver.
    Lascheter macht einen Nebenkriegsschauplatz auf! Er nimmt billigend in Kauf, wegen Anstiftung zum Mord angeklagt und womöglich verurteilt zu werden.
    Da steckt mehr drin! Lascheter dürfte sich nicht selbst dieHände schmutzig gemacht haben. Aber seine Leute. Dieser Fogh, der das Zimmermädchen ersticht und Lena beinahe in den Tod gestoßen hätte. Und seine eigene Verlobte auf dem Gewissen hat.
    Und wer wird den großen Professor in die Zange nehmen müssen? Der, den man nicht in die Schweiz reisen lässt! Der, den man nicht informiert, was abläuft, mit Filmdateien. Der, dem man nichts erklärt! Der kleine Lothar aus Berlin sucht seine Mama.
    Jetzt galt es, allen Mut zusammenzunehmen: Denn das Bier im Glas, es war inzwischen ganz sicher viel zu warm geworden.

66
    Axel Hermsdorff stand am Fenster. Er sah hinaus auf die Potsdamer Chaussee. Mit dem Regenschirm wartete Shirin vor dem Tor des Instituts. Er beobachtete sie. Inzwischen war der achte Doppeldeckerbus vorbeigefahren. Sie wartete immer noch. Sie war die Einzige, die wartete.
    Er nahm sein Handy und schrieb eine SMS. Dann wählte er die Nummer und drückte auf
Senden
. Shirin kramte nach ihrem Handy. Sie las es. Axel beobachtete, wie sie reagierte. Sie sah zum Institut hoch. Machte unsinniges Zeug. Albern. Noch ein Bus, der vorbeifuhr. Offenbar tippte sie etwas ein. Er schaltete sein Handy ab. Vorsorglich.
    Das mit Shirin wäre nichts geworden. So war es besser. Nicht schön für sie, aber es war das Vernünftigste. Shirin passte nicht zu ihm. Klarer als jetzt hatte er das nie gesehen. Und jetzt ging sie ja auch. Sie würde es verwinden. Schließlich war sie so jung wie er. Und die SMS hatte er verständnisvoll formuliert. Sie würde darüber hinwegkommen und einsehen, dass es richtig ist.
    Er setzte sich wieder an den Bildschirm. Angekündigt war, dass die Fragen von Stufe zu Stufe schwieriger wurden. Ihm kam es so vor, als würden sie einfacher. In Mathe ging es schneller, gerade bei den größeren Brüchen. Soweit er sich erinnerte, hatte er in der Schule damit Schwierigkeiten. Hier ging es besser.
    Textrechenaufgaben. Wortpaare bilden. Logische Zusammenhänge finden – er hatte das Gefühl, man wolle ihn verschaukeln, es war zu einfach, und immer kam die Rückmeldung:
richtig
. Es war eine gute Arbeit, die er leistete. Außerdem war sie sinnvoll. Frau Dr.   Harissa hatte ihn mit den Zielen und Teilzielen bekannt gemacht. Daran gab es nichts auszusetzen.
    Kniffliger als die anderen Aufgaben waren zwei Kategorien. Die eine betraf Langzeiterinnerungen. Natürlich konnte er sich an die Namen seiner Eltern erinnern. Zum Beispiel wusste er, dass

Weitere Kostenlose Bücher