Jura für Kids - eine etwas andere Einführung in das Recht
gemacht, wie Sie entscheiden wollen?»
Ein solches Gespräch ist undenkbar. Kein Gerichtspräsident würde einen Richter auf ein Verfahren ansprechen. Weder auf ein laufendes noch auf ein abgeschlossenes. Allein die Nachfrage nach einem Verfahren beeinflusst den Richter. Richter Sommer müsste dem Präsidenten ja erklären, wie er den Fall rechtlich einschätzt. Möglicherweise müsste er seine Einschätzung auch noch begründen. Ein Richter ist aber sachlich unabhängig: Er entscheidet die Sache allein.
Dr. Dumm erklärt Richter Sommer: «Sie müssen nämlich wissen, Kornelius Küller ist mein Onkel. Ein ganz lieber Kerl. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass der nicht Recht hat. Er hat so viel Pech im Leben gehabt. Ich würde mich freuen, wenn Sie das bei Ihrer Entscheidung berücksichtigen könnten.»
Eine solche Einflussnahme ist natürlich ebenso undenkbar. Auch hier würde es gegen die richterliche Unabhängigkeit verstoßen, wenn ein Gerichtspräsident versuchen würde, auf die Entscheidung eines Richters direkten Einfluss zu nehmen.
Dr. Dumm will ganz sicher gehen, dass Richter Sommer in seinem Sinne entscheidet: «Herr Sommer, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber zum 1. März ist beim Amtsgericht Hintertupfingen eine Stelle im Mietrecht neu zu besetzen. Ich weiß zwar, Hintertupfingen ist ein hässlicher Ort und Sie mögen Mietrecht nicht, aber ich habe da an Sie gedacht. Ich will mir das aber noch mal durch den Kopf gehen lassen.»
Damit ein Richter auch wirklich frei entscheiden kann, ist er auch persönlich unabhängig: Niemand kann ihn entlassen, niemand kann ihn an ein anderes Gericht versetzen – kein Gerichtspräsident, kein Justizminister und auch nicht der Bundeskanzler. Allein die Möglichkeit, an ein anderes Gericht versetzt werden zu können, kann auf den Richter und seine Entscheidungen Auswirkungen haben. Wer nicht in Hintertupfingen arbeiten will, erlässt vielleicht lieber Urteile, die dem Gerichtspräsidenten gefallen. Genau das darf aber nicht sein, und deshalb ist die Versetzung nach Hintertupfingen nur erlaubt, wenn der Richter das selbst will. Und weil der Richter all das weiß, kann er immer frei und unabhängig entscheiden. Er muss keine Angst haben, dass er persönliche Nachteile erleidet.
Die große Unabhängigkeit des Richters hat natürlich auch Nachteile. Was passiert, wenn ein Richter keine Lust mehr hat zu arbeiten und in seinem Büro jeden Tag erst mal zwei Stundenschläft und dann ein bisschen im Internet surft, bevor er sich missmutig eine Akte ansieht? Oder was passiert, wenn ein Richter immer schlechte Urteile fällt, die später vom Berufungsgericht aufgehoben werden? Auch dann passiert nichts! Diese Nachteile nimmt ein Rechtsstaat in Kauf. Besser, man hat ein paar faule oder dumme Richter, als dass man Richter hat, die nicht unabhängig urteilen, weil sie Angst vor Nachteilen haben. Vor faulen oder dummen Richtern muss der Staat sich schützen, indem er nur die guten Juristen zu Richtern ernennt. Daher ist es nicht einfach, Richter zu werden.
Einen «Chef» hat der Richter aber doch: Gesetz und Recht. Beides muss er beachten. Tut er das aus Versehen nicht, ist das schlecht, aber nicht zu ändern: Alle Menschen machen Fehler. Tut er das absichtlich nicht, begeht der Richter eine schwere Straftat, nämlich Rechtsbeugung. Rechtsbeugung wird mit mindestens einem Jahr Gefängnis bestraft. Für einen Richter bedeutet das, dass er seinen Job verliert.
Kurt Knete ist bei Rot über die Ampel gefahren und hat ein Kind angefahren. Richterin Verena Schlegel muss über die Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung und den Entzug des Führerscheins entscheiden. Für Kurt Knete ist beides schlimm. Daher macht er Richterin Schlegel ein Angebot: «Sprechen Sie mich frei, dann bekommen Sie von mir 50.000 Euro.» Richterin Schlegel findet sowieso, dass man als Richterin zu wenig verdient und nimmt den Vorschlag an. Sie schreibt in ihrem Urteil, dass Kurt Knete bei Grün über die Ampel gefahren ist und das Kind selbst schuld sei. Es sei einfach auf die Strafe gelaufen. Als das später rauskommt, wird Verena Schlegel sofort ihres Amtes als Richterin enthoben und später zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.
Der Richter muss bei seiner Entscheidung also nur das Gesetz beachten. Da es kein Gesetz gibt, das vorschreibt, wie man Urteile abfassen muss, kann ein Richter ein Urteil auch in Reimform schreiben.
Fall 9: Urteil in Reimen
Im Namen des Volkes!
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Der Streit
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