Just Listen - Roman
konkreter. Persönlicher.«
Das war es, allerdings und zweifellos. Als Owen mich gefragt hatte, ob ich für ihn einspringen würde, hatte ich zunächst total panisch reagiert. Seine Mutter war nämlich der Meinung, ihm die Radiosendung zu verbieten, wäre die einzige adäquate Strafe für das, was er mit Will Cash angestellt hatte. Owen hatte mich schließlich mit dem Hinweis rumgekriegt, dass Rolly (und Clarke) ja auch noch da seien, mir mit dem Technikkram helfen und mit darauf achten würden, dass ich die Zeiten nicht überschritt. Also sagte ich Ja, ich würde es zumindest einmal ausprobieren. Das war mittlerweile vier Wochen her. Obwohl ich immer noch nervös war, machte das Ganze auch ziemlichen Spaß. Klappte außerdem letztlich so gut, dass Rolly mich bereits damit nervte, an dem Einführungskurs teilzunehmen, den WRUS anbot, und mich um meine eigene Sendezeit zu bewerben. Wozu ich innerlich zwar noch nicht bereit war. Aber man soll ja nie nie sagen.
Natürlich war Owen nach wie vor an der Sendung beteiligt. Als ich anfing, statt seiner zu moderieren, bestand er darauf, dass ich mich exakt an seine Playlist hielt, selbst wenn das bedeutete, dass ich den Zuhörern Musik aufdrängen musste, die ich persönlich verabscheute. Aber schon nach der ersten Sendung (und als er kapiert hatte, dass er mich sowieso nicht aufhalten konnte) gab er allmählich nach, sodass ich gelegentlich auch Songs spielte, die ichmir ausgesucht hatte. Es war schon ein Supergefühl, etwas in die Welt hinaussenden zu können – ein Lied, einen Kommentar, meine eigene Stimme – und dann einfach zuzulassen, dass die Leute dort draußen genau das für sich rausholten, was sie wollten. Ich brauchte mir keine Gedanken über mein Aussehen zu machen oder darüber, ob das Bild der Zuhörer von mir auch zu mir als Person passte. Die Musik sprach für sich – und für mich. Nachdem ich so lange angeschaut und beobachtet worden war, stellte ich fest, dass mir das gefiel. Sehr sogar.
Rolly klopfte an die Glasscheibe zwischen uns, als Zeichen, dass ich mich für den Start des nächsten Liedes bereit machen sollte. Eine Jenny-Reef-Single. Für Mallory, meinen ersten echten Fan, die mittlerweile jeden Sonntagmorgen pünktlich und hartnäckig ihren Wecker stellte, damit sie mit einem Musikwunsch anrufen konnte. Ich spulte an die richtige Stelle und wartete, bis
The Clash
allmählich leiser wurden, bevor ich die Starttaste drückte und der quirlige Rhythmus des Intros zu dem Jenny-Reef-Song einsetzte (ein Übergang, der – wie mir sonnenklar war – Owen total nerven würde; aus diversen Gründen bestand er übrigens darauf, sich die Sendung jeden Sonntagmorgen in seinem Straßenkreuzer anzuhören, allein). Nachdem das Lied dann richtig losgegangen war, lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und betrachtete die Fotos, die ich nebeneinander auf dem Mischpult aufgestellt hatte. Am Anfang hatte ich solches Lampenfieber gehabt, dass ich mir sagte, ich könne garantiert jede Form der Inspiration brauchen, die ich kriegen konnte. Deshalb brachte ich mir Fotos mit: das von Mallory, auf dem die Federboa ihr Gesicht umrahmte; es sollte mich daran erinnern, dass zumindest ein Mensch dort draußen zuhörte. Dann dasBild, das Owen von mir gemacht hatte, damit ich nicht vergaß, dass es letztlich keine Rolle spielte, ob Mallory tatsächlich die Einzige war. Und dann noch ein drittes.
Ein Schnappschuss von meiner Mutter, meinen Schwestern und mir, der Silvester entstanden war. Anders als das Foto im Eingangsflur stammte es nicht von einem Profi, auch der Hintergrund war längst nicht so spektakulär. Wir standen nämlich gerade an der Küchentheke und unterhielten uns über etwas, an das ich mich schon gar nicht mehr erinnere, als Kirstens Freund Brian – nach Ende des Seminars war endlich Schluss mit der heimlichen Beziehung gewesen, sie konnten in aller Öffentlichkeit als Paar auftreten – uns zurief, doch bitte mal eben zu ihm zu schauen. Und schon macht es Klick. Unter technisch-ästhetischen Aspekten war es bestimmt kein besonders gelungenes Bild. Hinter uns spiegelt der Blitz sich in der Fensterscheibe, der Mund meiner Mutter steht offen, Whitney lacht aus vollem Hals. Aber ich liebte es, denn es zeigte uns, wie wir waren. Und das Beste daran: Niemand nahm die Position in der Mitte ein.
Jedes Mal, wenn ich es betrachtete, musste ich daran denken, wie sehr mir dieses neue Leben gefiel, in dem kein Geheimnis mehr auf mir lastete.
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