Just Listen - Roman
auf die Fersen, Hände im Schoß, und betrachtete die Töpfe aufmerksam.
Ich warf einen raschen Blick zu Owen hinüber, der Whitney ebenfalls beobachtete, und fragte mich, wie das Ganze wohl auf ihn wirkte. Von außen betrachtet, sah es mit Sicherheit vollkommen anders aus, als es in Wirklichkeit war. Und ging man zum nächsten Haus, bekam man unweigerlich eine weitere, völlig andere Momentaufnahme, eine andere Geschichte zu Gesicht. Und obwohl es mir eigentlich nicht zustand, diese – Whitneys – Geschichte zu erzählen, weil es nicht meine war, entschloss ich mich aus irgendeinem Grund, es trotzdem zu tun.
»Das sind Kräuter«, erklärte ich Owen. »Sie hat sie gestern erst gepflanzt. Das gehört zu … äh … ihrer Therapie.«
Er nickte. »Du sagtest, sie sei krank. Was hat sie? Wenn ich fragen darf.«
»Eine Essstörung.«
»Oh.«
»Es geht ihr allerdings schon viel besser«, fügte ich hinzu. Was absolut stimmte. Zum Beispiel hatte Whitney am Abend vorher immerhin zwei Stück Pizza gegessen. Zwar lange nach mir und auch erst, nachdem sie alles, was nur im Entferntesten nach Fett aussah, heruntergekratzt und die Pizza in Millionen winzige Stücke geschnitten hatte. Aber sie hat diese Ministückchen gegessen, und das war es, was zählte. »Wobei … am Anfang, nachdem wir es geradeherausgefunden hatten, war es schon ziemlich schlimm. Sie hat eine ganz schön lange Zeit im Krankenhaus verbracht.«
Als Whitney nun aufstand und sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, blickten wir gemeinsam zu ihr hinüber. Ob Owen sie nun wohl mit anderen Augen betrachtete? Ob sie sich für ihn verändert hatte – jetzt, wo er das über sie wusste? Ich forschte in seinem Gesicht, fand aber keine Anzeichen in die Richtung.
»Muss schlimm gewesen sein«, meinte er, als sie sich umdrehte und um den Esstisch ging. »Mit anzusehen, was sie durchgemacht hat.«
Nachdem Whitney durch den Türbogen in die Küche gegangen war, konnte man sie für einen Moment nicht mehr sehen. Bis sie wieder auftauchte, weil sie nun vor der Küchentheke entlanglief. Ich vergaß es immer wieder: Auch wenn unser – das gläserne – Haus von außen so aussah, als könnte man alles sehen, was sich im Inneren abspielte, war auf bestimmte Dinge die Sicht versperrt, waren sie den Blicken verborgen.
»Ja«, sagte ich. »War es. Es war der Horror. Hat mir wirklich Angst gemacht.«
Während ich das aussprach, dachte ich gar nicht mehr darüber nach, dass ich ja gerade die Wahrheit sagte. Ich spürte ihn nicht einmal, diesen Moment. Den Augenblick des entscheidenden Sprungs. In dem ich wagte, die Wahrheit zu sagen. Stattdessen passierte es einfach.
Owen wandte sich zu mir um, sah mich an. Ich schluckte. Heftig. Redete aber weiter, wie eigentlich immer, wenn ich wusste, dass seine Aufmerksamkeit ganz mir galt. »Whitney war schon immer ein sehr zurückhaltender Mensch. Deshalb konnte man nie genau einschätzen, ob irgendetwasmit ihr nicht stimmte. Meine Schwester Kirsten ist das genaue Gegenteil. Sie gehört zu den Leuten, die einem immer mehr erzählen, als man eigentlich hören will. Wenn Kirsten unglücklich ist, bekommt man es mit, selbst wenn man gar nicht unbedingt möchte. Anders als bei Whitney. Ihr muss man immer alles einzeln aus der Nase ziehen. Oder irgendwie anders herausfinden.«
Owen schaute erneut zum Haus hinüber, aber Whitney war wieder verschwunden. »Und wie sieht das bei dir aus?«, fragte er.
»Bei mir?«
»Wie findet deine Familie heraus, wenn mit dir was nicht stimmt?«
Gar nicht
, dachte ich, sprach es aber nicht aus. Konnte nicht. »Keine Ahnung. Du müsstest sie wohl selbst fragen.«
Ein großer City Jeep raste an uns vorbei und wirbelte einen Haufen Blätter auf, die an den Rinnstein gekehrt worden waren. Als sie über die Windschutzscheibe flatterten, warf ich wieder einen Blick zu unserem Haus hinüber und sah, wie Whitney mit einer Flasche Wasser in der Hand die Treppe hinaufging. Diesmal schaute sie nach draußen. Als sie uns entdeckte, verlangsamte sie kurz ihre Schritte, bevor sie weiterging, Richtung oberer Treppenabsatz.
»Ich sollte besser mal«, meinte ich und griff nach unten, um den Sicherheitsgurt zu lösen.
»Kein Thema«, antwortete Owen. »Vergiss die Pilgerreise nicht, okay? Samstag. Neun Uhr.«
»Alles klar.« Ich öffnete die Beifahrertür, stieg aus, schloss sie hinter mir. Als ich um den vorderen Kotflügel herumlief, startete er den Motor und winkte mir zu. Erst
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