Just Listen - Roman
gab mir das Telefon zurück. »Okay.«
»Und wir können heute Abend entweder Spaghetti essen oder essen gehen.« Sie setzte sich aufrecht hin, zog die Beine an die Brust, sah mich an. »Worauf hast du Lust?«
Ich zögerte. War das möglicherweise eine Fangfrage? »Ist mir egal. Spaghetti sind okay.«
»Gut. Dann mache ich später welche.«
»Schön. Wenn du magst, helfe ich dir gern dabei.«
»Meinetwegen. Können wir ja später noch entscheiden.« Sie beugte sich vor, angelte sich den Stift, der neben ihren Füßen lag, öffnete die Kappe. Erst jetzt bemerkte ich, dass die erste Seite des Notizbuchs auf ihrem Schoß bereits vollgekritzelt war. Was sie wohl schrieb? Da blickte sie zu mir auf. »Ist noch was?«
»Nö.« Mir wurde bewusst, dass ich immer noch dastand und sie anstarrte. »Wir … äh … also dann, bis gleich.«
Ich kehrte in mein Zimmer zurück, setzte mich aufs Bett und schnappte mir Owens iPod. Irgendwie fühlte es sich seltsam, um nicht zu sagen: falsch an, dass ich das Teil hier bei mir in meinem Zimmer hatte, geschweige denn es in der Hand hielt. Trotzdem wickelte ich die Kopfhörer ab, setzte sie auf, drückte die Start-Taste. Eine Sekunde später leuchtete das Display auf. Als das Menü aufging, klickte ich SONGS an.
Es gab neuntausendneunhundertsiebenundachtzig Stücke, unter denen man auswählen konnte.
Du liebes bisschen
, dachte ich, während ich eine Weile die Liste entlang nach unten scrollte und die Songtitel vor meinen Augen vorüberhuschten. Ich erinnerte mich daran, was Owen mir über das Thema Ausblenden erzählt hatte. Ausblenden, das hatte er während der Trennung seiner Eltern getan, aber – wie ich plötzlich begriff – auch an jedem anderen Tag, an dem er mit Kopfhörern auf den Ohren durch die Gegend lief. Zehntausend Lieder können eine ganze Menge Schweigen ausfüllen.
Ich kehrte ins Menü zurück und scrollte mich zur Playlist durch. Eine weitere lange Liste wurde angezeigt: SENDUNG 12.8., SENDUNG 19.8., SONGS (IMPORTIERTE LABELS). Außerdem stand da ANNABEL.
Ich ließ den Scroll-Knopf los. Wahrscheinlich nur eine der CDs, die er mir gebrannt hatte, dachte ich. Und doch zögerte ich, genauso wie vorhin auf der Fahrt hierher, in seinem Straßenkreuzer. Ich wollte es wissen und gleichzeitig auch wieder nicht. Doch dieses Mal hielt ich es nicht aus. Knickte ein.
Als ich auf den Knopf drückte, veränderte sich das Display und zeigte eine Liste mit Songtiteln an. Der erste hieß
Jennifer
, von einer Band namens
Lipo
, was mir ziemlich bekannt vorkam. Ebenfalls
Descartes Dream
von
Misanthrope
, das zweite Lied, das ich wählte und anklickte. Ich brauchte nur kurz hineinzuhören, um beide als Stücke zu identifizieren, die Owen in der ersten Sendung, die ich von ihm gehört hatte, gespielt hatte. Es hatte mir auf Anhieb nicht gefallen – zugehört hatte ich trotzdem. Und anschließend heftig mit ihm darüber diskutiert.
Alle waren sie da. Jedes Lied, über das wir jemals geredet oder gestritten hatten. Sorgfältig aufgelistet. Die Maya-Gesänge vom ersten Tag, als er mich mitgenommen hatte.
Thank you
von
Led Zeppelin
– da hatte ich umgekehrt ihn ohne fahrbaren Untersatz auf der Straße aufgegabelt. Techno. Definitiv zu viel Techno. Sämtliche Thrash-Metal-Songs. Sogar Jenny Reef. Ich hörte in jeden Titel kurz rein und musste an all die Male denken, die ich Owen mit seinen Kopfhörern gesehen und dabei heftig vor mich hingerätselt hatte, was er wohl gerade hörte, geschweige denn dachte. Wer hätte geglaubt, dass es möglicherweise um
mich
gegangen war?
Ich warf einen Blick auf die Uhr: fünf vor fünf. Owen vermisste sein iPod sicher schon. Ich würde schnell zu ihm rüberfahren und das Teil abgeben. Keine große Sache. So einfach war das.
Doch ich war kaum halbwegs die Treppe runter, da hörte ich ein Scheppern und ein gemurmeltes »Mist«. Als ich meinen Kopf durch den Durchgang zur Küche steckte, schubste Whitney gerade einen Kochtopf in den Geschirrschrank zurück.
»Alles okay?«, fragte ich.
»Alles gut.« Sie richtete sich auf, strich sich die Haare aus dem Gesicht. Auf der Küchentheke vor ihr standen beziehungsweise lagen ein Glas Pastafertigsauce, eine Packung Spaghetti, ein Schneidebrett mit einer Paprika und einer Gurke sowie eine Tüte Salat. »Gehst du weg oder was?«
»Äh … ich wollte … nur ganz schnell. Es sei denn, du möchtest, dass ich dableibe.«
»Nein, ich komme klar.« Whitney nahm die Spaghettipackung in
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