Just Listen - Roman
auf halbem Weg unsere Auffahrt hinauf bemerkte ich, dass ich nach wie vor seine Jacke trug. Ich wirbelte herum, sahjedoch bloß noch, wie er um die Kurve fuhr. Ein blauer Klecks, der verschwand. Zu spät.
Ich schloss die Haustür auf, ging hinein, streifte die Jacke ab, legte sie mir über den Arm. Dabei spürte ich in der Außentasche etwas Hartes, Flaches. Ich griff hinein, tastete mit meinen Fingern danach. Noch bevor ich es herausnahm, wusste ich, was es war: Owens iPod. Er war schlimmer verkratzt und verbeult, als man es sich je hätte vorstellen können, und über das Display zog sich ein dünner Riss; die Kopfhörer waren darum herumgewickelt. Trotz der Eiseskälte im
World of Waffles
fühlte sich das Teil warm an in meiner Hand.
»Annabel?«
Ich zuckte zusammen, blickte auf. Whitney stand oben an der Treppe und sah zu mir herunter.
»Hi«, sagte ich.
»Du bist früh aufgestanden.«
»Ja«, antwortete ich. »Ich … äh … ich war frühstücken.«
Ihre Augen waren ganz schmal. »Wann bist du los?«
»Vor einer ganzen Weile«, erwiderte ich und begann, die Treppe hinaufzusteigen. Als ich oben ankam, trat sie einen Schritt zur Seite, aber nur eben so viel, dass ich mich an ihr vorbeiquetschen musste. Ich hörte, wie sie schnupperte. Und dann gleich noch einmal.
Bacon
, dachte ich.
»Ich gehe dann mal meine Hausaufgaben machen«, meinte ich, während ich auf mein Zimmer zulief.
»Okay«, sagte sie gedehnt. Blieb stehen, wo sie war, und beobachtete mich, bis ich die Tür hinter mir schloss.
Da ich Owen noch nie ohne sein iPod gesehen hatte, ging ich davon aus, er würde ziemlich schnell bemerken, dass es weg war. Und als später am Nachmittag das Telefon klingelte,nahm ich in der festen Überzeugung ab, er wäre am anderen Ende – auf heftigem musikalischem Entzug. Bei dem Anrufer handelte es sich jedoch nicht um Owen, sondern um meine Mutter.
»Annabel! Hallo!«
Wenn meine Mutter nervös war, schlug ihr Munterkeitspegel sprunghaft nach oben aus. Das Kabel knisterte förmlich vor lauter aufgesetzter Fröhlichkeit.
»Hi«, sagte ich. »Und, wie läuft es bei euch?«
»Wunderbar. Dein Vater spielt eine Runde Golf, ich komme gerade von der Maniküre. Wir sind ständig unterwegs, aber ich dachte, ich sollte mich trotzdem endlich einmal melden. Wie ist es bei euch?«
Es war ihr dritter Anruf in sechsunddreißig Stunden. Aber ich spielte das Spiel artig mit.
»Gut. Nicht gerade viel los hier.«
»Wie geht es Whitney?«
»Auch gut.«
»Ist sie da?«
»Keine Ahnung.« Ich setzte mich auf, sprang vom Bett, lief zur Tür, öffnete sie. »Aber ich sehe gerne nach.«
»Ist sie aus dem Haus gegangen?«
»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete ich.
Hilfe
, dachte ich. »Bleibst du kurz dran?« Ich ging auf den Flur, das Telefon an die Brust gepresst, lauschte ins Haus hinein. Von unten hörte ich weder den Fernseher noch sonstige Geräusche, deshalb lief ich die paar Schritte bis zu Whitneys Tür, die zwar zu war, allerdings nur angelehnt. Ich klopfte leise.
»Ja?«
Ich öffnete die Tür ganz. Whitney saß im Schneidersitz auf ihrem Bett und schrieb etwas in das Notizheft auf ihrem Schoß. »Mama ist am Telefon«, sagte ich.
Sie seufzte, streckte die Hand aus, Handfläche nach oben. Ich trat zu ihr, legte das Telefon hinein.
»Hallo? – Hi. – Ja, natürlich bin ich da. – Mir geht es gut. – Alles in Ordnung. Du musst nicht ständig anrufen, okay?«
Worauf meine Mutter etwas erwiderte. Whitney lehnte sich an das Kopfteil ihres Bettes. Während sie zuhörte und eine ganze Serie von Mmh-mmhs und Ahas von sich gab, blickte ich aus dem Fenster. Obwohl unsere Zimmer nebeneinanderlagen, war ihr Blick auf den Golfplatz auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo ein Mann in karierten Hosen gerade einen Probeschwung ausführte, vollkommen anders als meiner. Beinahe, als wäre man in einem anderen Haus.
»Ja, okay.« Whitney fuhr sich glättend mit der Hand durchs Haar. Wieder einmal fiel mir auf, wie schön sie war – sogar in Jeans, T-Shirt und ohne Make-up sah sie umwerfend aus. So umwerfend, dass man sich kaum vorstellen konnte, sie hatte sich selbst nicht als schön – und nichts als schön – wahrgenommen, wenn sie sich im Spiegel betrachtete. »Richte ich ihr aus. – Okay. – Tschüs.«
Sie nahm den Hörer vom Ohr, drückte die Aus-Taste. »Mama meint, viele Grüße und bis morgen. Bis zum Abendessen sind sie zurück.«
»Ah ja«, sagte ich. Sie
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