Justiz
Stadtpolizei zugeschanzt, als Rechtsberater, daß er nach oben gerutscht und schließlich Kommandant geworden sei, stelle nicht das Ergebnis von besonderen Leistungen dar, es seien die Intrigen der Politik gewesen, die ihn hinaufgespült hätten, und bei den anderen Instanzen des Justizapparates sei es ebenso, nicht daß er von Korruption sprechen wolle, aber der Anspruch der Justiz, etwas Objektives darzustellen, ein von jeder gesellschaftlichen Rücksicht und Vorurteilen keimfreies Instrumentarium, sei derart weit davon entfernt, was es in Wirklichkeit sei, daß er den Fall Kohler nicht so tragisch zu sehen vermöge wie ich, gewiß, es sei meinerseits ein Fehler gewesen, den Auftrag anzunehmen und Stüssi-Leupin das Material zu liefern, womit er Benno an den Lüster hetzen und den Prozeß gewinnen konnte, aber – ob nun Kohler schuldig sei hin oder her – und es wisse im Grunde ja jeder, daß der Kantonsrat den Universitätsprofessor niedergeschossen habe, auch er, der Kommandant, zweifle nicht daran – wenn er mich nun betrachte und überlege, wohin mich mein Aufbegehren gegen einen juristisch gesehen außergewöhnlichen, aber einwandfreien und damit berechtigten Freispruch gebracht habe – auch wenn damit die Gerechtigkeit schachmatt gesetzt worden sei –, so bliebe mir nichts anderes übrig, wolle ich in dieser Angelegenheit noch Gerechtigkeit üben, als Kohler und mich selber zum Tode zu verurteilen und an beiden das Todesurteil zu vollziehen, den Revolver zu nehmen, den ich hinter meiner Couch versteckt halte, und damit Kohler und dann mich selber ins Jenseits zu befördern, was er, der Kommandant, zwar für logisch, aber auch für unsinnig halte, denn vor der Gerechtigkeit, absolut genommen, was sie als Idee nun einmal sei, stünde ich nicht besser da als Kohler, er brauche nur an meine Rolle, die ich bei Daphnes Tod gespielt habe, zu erinnern. Vor der Gerechtigkeit stünden sich Kohler und ich als zwei Mörder gegenüber. Ein Richter dagegen übe ein diskutables Amt aus. Er habe dafür zu sorgen, daß eine so unvollkommene Institution funktioniere, wie es die Justiz nun einmal sei, die dazu diene, im Diesseits für ein gewisses Einhalten 138
menschlicher Spielregeln zu sorgen. Ein Richter brauche persönlich ebensowenig gerecht zu sein wie der Papst gläubig. Wenn jedoch einer auf eigene Faust Gerechtigkeit ausüben wolle, gehe es verdammt unmenschlich zu. Dieser übersehe, daß Gaunereien bisweilen humaner seien als Korrektheiten, weil das Weltgetriebe nun einmal von Zeit zu Zeit geschmiert werden müsse, eine Funktion, die unserem Land ja besonders liege. So ein Gerechtigkeitsfanatiker müsse selber gerecht sein, und ob ich das sei, sei an mir zu beantworten. Sie sehen, Kommandant, ich bin in der Lage, unser Gespräch – oder besser Ihren Vortrag, denn ich sprach ja kein Wort, lag einfach da, verkotzt wie ich war, und hörte Ihnen zu –
seinem Sinn nach halbwegs genau wiederzugeben, ich war auch nicht verwundert, daß Sie erraten hatten, was zu tun ich von Anfang an beschlossen hatte, und vielleicht ließ ich mich nur deshalb fallen, möglicherweise verhalf ich nur deshalb Lucky und dem Marquis aus Neuchâtel zu ihrem Alibi, wahrscheinlich wurde ich nur deshalb zu dem, was ich bin, selbst für einen Orchideen-Noldi zu schäbig und unter der Würde der Damen, die er vertritt, um auf meine Weise ebenso schuldig zu werden wie Dr. h.c. Isaak Kohler, aber dann ist mein Urteil und die Ausführung meines Urteils durch mich die gerechteste Sache der Welt, denn die Gerechtigkeit kann sich nur unter Gleichschuldigen vollziehen, so wie es nur eine Kreuzigung gibt, jene des Isenheimer Altars, ein gekreuzigter Riese hängt am Kreuz, ein gräßlicher Leichnam, unter dessen Gewicht sich die Balken biegen, an die er genagelt ist, ein Christus, noch entsetzlicher als jene, für welche dieses Altarbild gemalt wurde, für die Aussätzigen, wenn diese jenen Gott hängen sahen, stellte sich zwischen ihnen und diesem Gott, der ihnen doch nach ihrem Glauben den Aussatz geschickt hatte, Gerechtigkeit ein: dieser Gott war für sie gerecht gekreuzigt worden. Ich schreibe nüchtern, Herr Staatsanwalt Feuser, ich schreibe nüchtern, und gerade deshalb bitte ich Sie, dem Kommandanten nicht vorzuwerfen, er hätte meinen Revolver zu sich nehmen sollen, das ganze Gespräch oder besser die ganze kreuzbrave Ansprache des Kommandanten war nicht väterlich gemeint, die Geschichte mit jedem zehnten, den er springen lasse, glaube, wer
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