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Justiz

Justiz

Titel: Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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nicht. So verfehlten wir unsere Liebe. Ich verschwieg ihr, daß ihr Vater nicht gezwungen war zu morden (auch wenn es die teuflische Zwergin gewünscht haben soll), daß es ihm nur gefiel, auf diesem armseligen Planeten den Herrgott zu spielen, und daß ich mich zweimal hatte kaufen lassen, von ihm und von einem Staranwalt, der Freude daran hatte, das Spiel der Justiz zu Ende zu spielen, wie ein Großmeister, der eine Schachpartie großmütig übernimmt, die ein Anfänger begann. So schliefen wir 143
    miteinander, ohne miteinander zu sprechen, ahnungslos, daß es kein Glück ohne Sprache gibt. Vielleicht gibt es darum nur das momentane Glück, das Glück, das ich in jener Nacht spürte, als ich ahnte, was aus mir hätte werden können, eine unfaßliche Möglichkeit, die in mir lag und die ich dann nicht verwirklicht habe, und weil ich damals glücklich war, eine Nacht lang, war ich überzeugt, daß ich würde, was ich nicht wurde. Als wir uns am Morgen anstarrten, wußten wir, daß alles vorüber war. Nun muß ich zum Flughafen.

III
    Nachwort des Herausgebers: Ich machte auf eine recht seltsame und im Grunde zufällige Weise Bekanntschaft mit einigen Personen, von denen ich erst später begriff, daß sie nicht nur in diese vielschichtige Handlung verwickelt, sondern auch deren Hauptakteure waren.
    Es muß um das Jahr 1984 herum gewesen sein. In München. Ich führe kein Tagebuch. Meine Zeitangaben sind nie allzu genau. Ich nehme an, Ende Mai, und ich hielt die Geschichte damals für erfunden. Eine bequeme Villa, ein bequemer Park, der sich unter hohen Bäumen verliert. Im Park, der Villa entlang, gedeckte Tische.
    Eine angenehme Gastgeberin. Verleger, Journalisten, Film-, Theater-, klug dosiertes Kulturleben. Wie immer verwechsle ich jemand mit jemandem. Bin unsicher, ob eine andere die sei, von der ich glaube, daß sie es sei. Dann ist es doch eine andere. Dann ist ein anderer jemand ganz anderes. Dann erschrecke ich erschrocken einen Intendanten eines Hauses, wo ich einst alle kannte und jetzt niemand mehr kenne. Ich denke, er denkt, ich wolle ihm ein Stück andrehn, 144
    und er denkt, ich wolle ihm ein Stück andrehn. Ein Schauspieler läuft herum wie ein König Lear, der seinen Text vergessen hat, und ist untröstlich: »Das Theater ist am Ende. Es gibt keine neuen Stücke.«
    Einen anderen Schauspieler habe ich so oft im Fernsehen gesehen, daß ich mir einbilde, er sei ein alter Bekannter, und er ist bestürzt, weil wir uns zum ersten Mal begegnen. Eine Frau schiebt einen Greis im Rollstuhl herein. Elegant, überlegen, schön. Um die Fünfzig. Ich kenne sie, aber weiß ihren Namen nicht. Sie begrüßt mich reserviert, duzt mich und nennt mich Max. Sie hat mich verwechselt. Gelächter.
    Sie entschuldigt sich. Ich fühle mich geehrt. Sie siezt mich wieder.
    Wer der Greis sei? Ihr Vater. Er muß uralt sein. Bald hundert. Zart und zerbrechlich. Ungemein lebendig. Rosige Haut. Dünnes weißes Haar, gestutzter Schnurrbart, gepflegter Bart, halb Voll-, halb Spitzbart. Er habe mit dem bayerischen Ministerpräsidenten konferiert. Über Politik? Über eine Stiftung effektiver Wissenschaft.
    Verstehe nicht. Es gebe heute zuviel unnütze Wissenschaft.
    Verstehe. Sie denkt immer noch, ich kenne sie, und ich kenne sie nicht. Die Gastgeberin unterhält sich mit dem Greis. Plaudert mit ihm. Lacht viel. Der Greis muß witzig sein. Sitze zwischen der unbekannten Bekannten und der deutschen Witwe eines italienischen Verlegers, den ich einmal einen Tag lang in Mailand kennengelernt habe. Die Bekannte, auf deren Namen ich nicht komme, hat bemerkt, daß ich nicht weiß, wer sie ist. Sie ist verstummt. Die Witwe erzählt mir von einer Schauspielerin, in die ich einmal verliebt war. Die sei mit einem Feuerwehrmann durchgebrannt. Nach dem Essen in den Salon. Die Film- und Theatermenschen scharen sich um den Intendanten. Sie interessieren sich für die Kunst. Die anderen um den Greis im Rollstuhl. Sie interessieren sich für die Wirklichkeit. Ein Kunstkritiker hält mit einer kurzen Dankesrede an die Gastgeberin einige Minuten lang die beiden Sphären zusammen. Er versteht zuviel von der Kunst, um die Wirklichkeit nicht zu unterschätzen, und zuviel von der Wirklichkeit, um die Kunst nicht zu überschätzen.
    Dann fallen die beiden Sphären wieder auseinander. Die einen diskutieren über Botho Strauss, die andern über Franz Josef Strauß.
    Was der Greis von diesem halte. Historiker, kein Meteorologe. Was er damit sagen wolle? Der

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