Juwel meines Herzens
jetzt, einer mythischen Figur gleich, den Tiefen des Wassers entstieg. Und genauso unwirklich.
Auch Tyrell trat nun ans Seeufer. Solange Nolan getaucht war, war er unruhig auf und ab gegangen. Auch er wollte seinen Beitrag zu der Schatzsuche leisten. »Habt Ihr etwas gefunden?«
Nolan öffnete die Hand mit deren Fläche nach oben. Schlamm tropfte von seinen Fingern. Er schüttelte sie, und noch mehr Schlamm glitt an seiner Hand hinab, aber plötzlich klirrten auch einige harte Gegenstände aneinander. Durch die nasse, dunkle Erde blitzte es golden auf. Tyrell und Jewel beugten sich vor, um besser sehen zu können.
»Was ist?«, fragte Bellamy, während er Dreck von seinen Hosen wischte. Trotz seines Alters spannten sich bei den kleinsten Bewegungen seine gut ausgebildeten Muskeln an. Das zusätzliche Polster um seine Hüften, das in den letzten Jahren hinzugekommen war, ließ ihn nur noch kompakter erscheinen.
Als Jewel nach einer Münze griff, überkam sie plötzlich der Wunsch, sie vor ihrem Vater zu verbergen. Dass er nicht allein auf der Insel ausgeharrt hatte, war genauso offensichtlich wie die Tatsache, dass man ihm nicht trauen konnte.
Im nächsten Moment riss Bellamy ihr den Fund auch schon aus den Fingern. Er biss darauf und spuckte dann den Schlamm aus. »Gold.«
Wayland drängte sich zu ihnen. »Ist das alles?«
Nolan zeigte seine Hand und damit auch die übrigen Münzen. »Kann ich nicht sagen. Da unten ist es zu dunkel. Man muss alles mit den Händen ertasten.«
Bellamy schlug Nolan auf die Schulter. »Besser, du lässt dir schnellstmöglich Kiemen wachsen, nicht wahr, Junge?«
Nolan funkelte ihn warnend an, und Bellamy zog rasch seine Hand zurück.
Jewel konnte sich mit dem Gedanken, dass Nolan wieder in die Finsternis hinabtauchen sollte, überhaupt nicht anfreunden, und die offenkundige Freude ihres Vaters bei dieser Aussicht tat nichts, um ihre Angst zu lindern. »Aber warum sollte dein Großvater seinen Schatz in einem Teich versenken? Wie hätte er ihn jemals wieder bergen können, wenn es uns schon nicht gelingt?«
Nolan schritt durch die Gruppe der Männer, die ihn umringte, wieder zum Ufer. Er schüttelte das restliche Wasser aus seinem langen Haar, stellte sich dann in die Sonne, die als dünner Strahl durch das Blätterdach brach, und wandte sich ihnen wieder zu. »Er war schlicht und einfach verzweifelt. Normalerweise vergraben Piraten ihre Schätze auch nicht, sondern sind viel zu sehr damit beschäftigt, sie auszugeben.«
»Aber warum hat er es dann getan?« Jewel konnte sehen, wie Gänsehaut Nolans Schulter überzog. Sie ging auf ihn zu, stoppte aber dann. Sie hatte ihm mit den Händen über seine Arme reiben wollen, um ihn zu wärmen, aber sein Blick hielt sie davon ab.
»Er hatte gehofft, den Schatz als Druckmittel einsetzen zu können. Er wollte eine Begnadigung. Ich nehme mal an, dass die Münzen und alles, was sich sonst noch da unten befindet, in Holzkisten oder Taschen verpackt waren. Die Kraft des Wasserfalls muss sie über die Jahre hinweg zerstört haben. Wahrscheinlich hätte man den Schatz vor siebzig Jahren noch um ein Vielfaches einfacher heben können als heute.«
Jewel schlang ihre Arme um den Oberkörper. Im Schatten und Nebel des Wasserfalls war ihr kühl geworden. »Piraten werden begnadigt?«
Bellamy stolzierte vor. »Nein, Mädchen. Captain Kent hat als Freibeuter begonnen, aber als er auf den Geschmack des guten Lebens in Tortuga gekommen ist, wurde er zum Piraten. Das Gleiche, was unserem Nolan hier passiert ist. Hat er dir schon einmal von Tortuga erzählt?«
Jewel erstarrte. »Ich glaube, er hat erwähnt, dass du ihm dort die Karte gestohlen hast.«
Bellamy lachte. »Du hast wirklich Mumm, Schätzchen, das muss ich dir lassen. Hat er dir zufällig auch erzählt, womit er gerade beschäftigt war, als ich die Karte in Verwahrung genommen habe, um sie zu schützen?«
Wayland ergriff das Wort, so dass Jewel um eine Antwort herumkam. »Kent wurde gehängt, weil irgendein hochnäsiger Adliger seine Gier nicht mehr unter Kontrolle hatte. Er ist kein Pirat geworden. Man sagt, er habe Pässe für die Schiffe bei sich getragen, die er geplündert hat, so dass er mit ihnen belegen konnte, dass er nur diejenigen angegriffen hat, für die sein Kaperbrief galt.«
Jewel schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht.«
Nolan verschränkte die Arme vor seiner nackten Brust. »Bellamy wollte dir damit sagen, dass ich in Tortuga mit einer Frau von zweifelhafter
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