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K. oder Die verschwundene Tochter - Roman

K. oder Die verschwundene Tochter - Roman

Titel: K. oder Die verschwundene Tochter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Transit
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Giesbrecht klärt Prof. Pitombo auf, dass der Verfahrensausschuss seinen Entschluss unter Zugrundelegung der zusammengetragenen Beweise getroffen hat, wie es in dem Gutachten vermerkt ist, und der Erklärung von Minister Armando Falcão, dass nämlich von einer Verhaftung der Dozentin nichts bekannt sei, ein größeres Gewicht beigemessen hat.
    Es folgt die geheime Abstimmung über das Gutachten, dessen Gegenstand die Entlassung der Dozentin ist. Es ist mit dreizehn Stimmen dafür und zwei ungültigen Stimmen angenommen und das Ergebnis wird an das akademische Oberhaupt der Universität, Magnifizenz Rolando Marques de Paiva, weitergeleitet. Zwei Tage später wird die Entlassung der Dozentin im Amtsblatt öffentlich bekanntgegeben, ein Rechtsakt des Gouverneurs des Bundesstaats São Paulo, Paulo Egidio Martins, noch einer in der Reihe derer, die sich nie entschuldigt haben.

    Die Straßennamen
    Das erschlossene Bauland lag weit außerhalb, es handelte sich um billige Grundstücke, die dazu dienten, den Eigenbau anzukurbeln und somit zur Wertsteigerung der Grundstücke des gleichen Besitzers, die näher am Stadtzentrum lagen, beizutragen, sobald die Anwohner über Wasser- und Stromanschlüsse sowie Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr verfügten. Laut Gesetzentwurf eines linken Stadtverordneten sollte an diesem Ort jede Straße den Namen eines verschwundenen Regimegegners erhalten. 47 Straßen, 47 verschwundene Regimegegner.
    Der Stadtverordnete persönlich rammte Stäbe zur Markierung der Hauptstraßen und Kreuzungen in den Boden, denn die Straßenführung war noch nicht eindeutig sichtbar, und befestigte dort die bläulichen Schilder mit den Namen der verschwundenen Widerstandskämpfer. Nur die Namen, ohne Angabe des Geburts- und natürlich auch nicht des Todesdatums.
    Die Familienangehörigen, nicht mehr als fünfzehn, die meisten aus São Paulo, hatten sich zunächst vor dem Hotel Glória versammelt. Von dort aus waren sie mit einem Minibus in das jenseits der Brücke Rio-Niterói liegende Baugebiet gefahren. Es war eine lange Fahrt. Obwohl er erschöpft und all dessen überdrüssig war, auch des Lebens selbst, hatte K. beschlossen, an der Gedenkveranstaltung für seine Tochter und seinen Schwiegersohn teilzunehmen.
    Zu Beginn gab es eine kleine Zeremonie. Der Stadtverordnete hielt eine Rede und pries diejenigen, die gegen die Diktatur gekämpft hatten, und er sprach vom Beginn einer Neuordnung der Werte. Die Erinnerung an diejenigen, die im politischen Kampf verschwunden waren, mittels der Straßenschilder wachzuhalten, hatte die Funktion, die zukünftigen Generationen an die Bedeutung von Demokratie und Menschenrechten zu erinnern. Es war eine schöne Rede, dachte K.; eine Rede und Straßennamen, die versuchten, der Vernichtung so vieler Menschenleben a posteriori einen Sinn zu verleihen.
    Im Namen der Familien sprach eine ältere, weißhaarige Dame. K. hatte sich ihren Namen nicht gemerkt, aber ihr Gesicht nie vergessen seit dem Tag, an dem er ihrem bitteren und gleichzeitig zärtlichen Bericht über das Verschwinden ihres Sohnes gelauscht hatte, damals im Bischofspalais, bei dem ersten Treffen der Familienangehörigen. Auch sie fand schöne Worte. Erneut klangen sie bitter und zärtlich zugleich. Alle waren bewegt.
    Anschließend teilten sie sich in kleine Gruppen auf, den Plan des Baugeländes in der Hand, und jeder versuchte, das Straßenschild mit dem Namen seines verschwundenen Familienmitglieds zu finden. K. musste lange suchen, bis er die beiden Schilder fand, das seiner Tochter und das seines Schwiegersohns. Als er davorstand, bat er ein anderes Gruppenmitglied, sie zu fotografieren. K. wusste nicht, wie man mit einem Fotoapparat umging.
    Es war schon dunkel geworden, als sie zurückfuhren. Hinter ihnen prangte die einzige Leuchtreklame des Ortes, die Bezeichnung des Bauvorhabens in großen roten Lettern auf grünem Hintergrund: »Vila Redentora«, Dorf der Erlösung. K. fühlte sich verhöhnt; obwohl es sich um einen Zufall handelte, hatten doch auch die Militärs ihren Staatsstreich als »Revolução Redentora« bezeichnet. Er versuchte, sich zu beruhigen. Er hielt dagegen, dass das Wichtige das Gedenken an die Verschwundenen aufgrund der Straßennamen war. Es hatte lange gedauert, aber nun war es Realität.
    Während der Rückfahrt studierte er von dem Minibus aus die vorbeiziehenden Straßennamen etwas aufmerksamer. Merkwürdig, dass er Straßennamen nie Beachtung geschenkt hatte. Als er in

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