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K. oder Die verschwundene Tochter - Roman

K. oder Die verschwundene Tochter - Roman

Titel: K. oder Die verschwundene Tochter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Transit
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Arbeitsplatz«, in Übereinstimmung mit Artikel 254, Abschnitt IV der Dienstvorschrift. Ein weiterer Punkt auf der Tagesordnung ist der Vorschlag für die erneute Berufung des pensionierten Professors Henrique Tastaldi, der zufällig zu den drei Mitgliedern des Verfahrensausschusses gehört, der die Entlassung der Assistentin beantragt hat.
    Der gegenwärtige Bericht wurde auf Basis des Sitzungsprotokolls erstellt, das in den unten zitierten Abschnitten wiedergegeben wird. Viele Jahre später sollte der Rektor öffentlich eingestehen, dass die Entlassung der Dozentin zu Unrecht erfolgt war. Doch nie wurde auch nur einer der Beteiligten gerügt, nie wurden die Schulden gegenüber der Familie beglichen. Keiner der Teilnehmer an dieser Institutsratssitzung brachte jemals eine Entschuldigung vor.
    Den Vorsitz führte der Institutsleiter, Prof. Ernesto Giesbrecht, der Patriarch der chemischen Forschung in Brasilien, Mitglied der Brasilianischen Akademie der Wissenschaften, Träger des Brasilianischen Verdienstordens für Wissenschaft, Schüler und Doktorand von Rheinboldt. Giesbrecht ist inzwischen verstorben. Die Gedanken, die ihm während der Sitzung durch den Kopf gegangen sind, kennen wir nicht, wir können nur Vermutungen anstellen.
    Diese Sitzung wird nicht leicht werden, ich hoffe, dass sie bald zu Ende ist. Schließlich haben wir es mit einem Ultimatum zu tun. Wenn der Heinrich noch am Leben wäre, würde er es nicht glauben. Er, der wegen der jüdischen Familie seiner Frau Deutschland verlassen hat. Ich bin sicher, er würde genau so handeln wie ich; er war schließlich derjenige, der den Fachbereich Chemie aufgebaut hat und würde bestimmt nicht mit ansehen wollen, wie alles zerstört wird wegen einer Person, und dann auch noch wegen einer gewöhnlichen Dozentin, die gerademal einen Doktortitel hat. Wenn es eine Lehrstuhlinhaberin, eine Professorin, gewesen wäre, aber eine promovierte Assistentin …. Chemie ist gleich Führung, wir müssen unseren Führungsanspruch aufrechterhalten. Gott sei Dank erfolgt die Abstimmung geheim, niemand muss Farbe bekennen, keiner wird erfahren, wer für die Entlassung war. Ich hoffe nur, dass alles klappt.
    Was er tatsächlich gesagt hat, ist im Protokoll vermerkt:
    Ich freue mich außerordentlich, zum ersten Mal Prof. Dr. Gottlieb als Mitglied des Institutsrats begrüßen zu dürfen. Er ist vor kurzem als Lehrstuhlinhaber im Bereich Chemische Grundlagen bestätigt worden und es ist eine Ehre für dieses Kollegium, ihn zu seinen Mitarbeitern zählen zu dürfen. Das Protokoll der 44. Sitzung wurde einstimmig angenommen. Wir fahren nun mit der Tagesordnung fort. Der erste Punkt ist die erneute Berufung von Prof. emer. Henrique Tastaldi, bereits pensioniert.
    Prof. Francisco Jerônimo Sales Lara von der Philosophischen Fakultät überlegt, ob er sich zu Wort melden soll. Vorerst denkt er nach. Stellen wir uns vor, dass ihm folgendes durch den Kopf geht:
    Dieser Tastaldi ist doch ein gerissener Hund; jetzt wird er sein Ruhestandsgehalt mit dem eines Lehrstuhlinhabers aufbessern können. Sie stimmen für die Zweitberufung, und er unterstützt im Gegenzug das Votum des Verfahrensausschusses. Das ist die Belohnung dafür, dass er mit dem Repressionsapparat unter einer Decke steckt. In der Philosophischen Fakultät hätte so etwas nie passieren können. Die ganze Welt weiß, dass diese Dozentin von den Sicherheitskräften verhaftet wurde. Der Vater war hier, in der Zeitung war eine Anzeige, eine Reportage, die Liste des Kardinals mit den Namen der zweiundzwanzig Verschwundenen. Mein Gott, wo bin ich bloß gelandet. Was für ein erzreaktionäres Nest und was für Leute ohne Rückgrat, und dabei handelt es sich überwiegend um Juden, die vor den Nazis geflohen sind, oder um ihre jeweiligen Doktoranden.
    Nun bittet Sales Lara um das Wort. Gezielt wählt er jede einzelne Formulierung. Im Protokoll ist vermerkt:
    Ohne Zweifel ist Prof. Tastaldi eine historische Persönlichkeit, die einen großen Beitrag zur Entwicklung der Biochemie in unserem Land geleistet hat. Darüber hinaus besitzt er persönliche Eigenschaften, die dazu führen, dass er von allen geschätzt und gemocht wird. Nichtsdestotrotz bin ich der Auffassung, dass eine Zweitberufung an das Institut für Chemie nicht opportun ist. Ich bin gegen die wiederholte Berufung von Professoren, die sich bereits im Ruhestand befinden. Meiner Meinung nach wäre das nur gerechtfertigt, wenn es einen absoluten Engpass bei einer

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