K. oder Die verschwundene Tochter - Roman
»institutionellen Totalitarismus« sprechen.
Denn es ist klar, dass die Aufklärung der Entführungen und Hinrichtungen, der räumlichen und zeitlichen Umstände jedes einzelnen Verbrechens, zum großen Teil mit diesen Grauzonen Schluss machen würde, die uns immer wieder suggerieren, wenn wir anders gehandelt hätten, als wir gehandelt haben, dann hätte die Tragödie abgewendet werden können.
Daher sind auch die Entschädigungen, die den Familien der verschwundenen Widerstandskämpfer gewährt wurden – wenn auch unspektakulär –, schnell ausgezahlt worden, auch ohne Antrag, im Gegenteil, man hat einer Antragstellung vorgegriffen, um jeden Fall so schnell wie möglich begraben zu können. Die Fälle begraben, ohne die Toten zu begraben, ohne Raum zu bieten für eine Ermittlung. Ein subtiles Manöver, das aus jeder Familie einen ungewollten Komplizen eines bestimmten Umgangs mit der Geschichte macht.
Der »institutionelle Totalitarismus« verlangt, dass die Schuld, genährt von dem Zweifel, der Undurchsichtigkeit der Geheimnisse und verstärkt durch die ausgezahlten Entschädigungen, im Inneren eines jeden Überlebenden als persönliches und familiäres Drama verankert bleibt und nicht als die gemeinschaftliche Tragödie gesehen wird, die sie war und ein halbes Jahrhundert später noch immer ist.
Nachricht für den Companheiro Klemente
Klemente,
ich weiß nicht, ob ich dich noch als Companheiro bezeichnen soll, nachdem du der Pariser Gruppe erzählt hast, dass es die Organisation nicht mehr gibt. Ich könnte deine Aussage als Trick interpretieren, um den Repressionsapparat an der Nase herumzuführen. Doch wir haben erfahren, dass du dich gleichzeitig der Kommunistischen Partei zugewandt hast.
Du musst wissen, dass die Organisation in den Augen der Repression nicht tot ist. Sie jagen uns noch immer. In der vergangenen Woche sind fünf Companheiros aus unterschiedlichen Organisationen – einschließlich unseres Yuri – nach ihrer Gefangennahme verschwunden. Alle, die ins Netz gehen, verschwinden mittlerweile, ohne eine einzige Spur zu hinterlassen. In diesem Jahr sind es bereits dreiundvierzig, abgesehen von den Fällen, die uns nicht bekannt sind.
Es ist allerhöchste Zeit, das Ganze zu überdenken. Hat der Alte nicht immer gesagt, dass es nicht ausreicht zu wissen, wer der Feind ist, man muss auch seine Ziele kennen? Seit der Entführung von Elbrick nur noch Verluste und nicht das geringste Anzeichen einer kritischen Auseinandersetzung mit der Situation, einer klaren Zielsetzung. Dutzende junger Companheiros sind gefallen. Gleichzeitig, anstatt strenger auf die Sicherheit zu achten, verstehen wir uns als Bollwerk, sind nachlässig geworden, einen Treffpunkt per Telefon zu vereinbaren, das ist doch absurd.
Wir hatten schon seit längerem vermutet, die Diktatur habe beschlossen, keine Gefangenen mehr zu machen. Wir hätten das analysieren müssen; Selbstkritik üben müssen, erkennen, dass wir isoliert waren. Vielleicht wäre es noch gelungen, das Leben vieler Menschen zu erhalten. Stattdessen haben wir beschlossen, bis zum bitteren Ende zu kämpfen, auch wenn es zu nichts führte. Hier hat das Krankhafte begonnen. Das Religiöse, das »Hätte ich zehn Leben, würde ich zehn Leben geben«. Im Grunde haben wir uns auf das Spiel der Diktatur, uns alle zu beseitigen, eingelassen. Danach habe ich bei einigen Companheiros einen morbiden Fatalismus festgestellt, es gebe keinen anderen Ausweg als zu sterben wie Che Guevara.
Márcio hat auf das sinnlose Opfern so vieler Menschenleben hingewiesen. Er sagte, dass wir auf einen kollektiven Selbstmord zusteuern. Erinnerst du dich? Seinetwegen schicke ich dir diese Nachricht. Sein Argument war, dass es keinen Sinn macht, einen Krieg zu führen ohne die Unterstützung zumindest einer sozialen Klasse und ohne politische Aktionen. Er hinterfragte die vermeintliche Fähigkeit der Organisation, eine Gegenoffensive zu starten, nachdem der Alte gefallen war.
In seinem Innern wusste der Alte das bereits längst bevor er fiel, er hat sogar einige Companheiros in die Freiheit entlassen, die, bei denen er eine Chance sah, ein neues Leben zu beginnen. Ihm war das bewusst und er wollte sein Gewissen erleichtern. Gleichzeitig – das ist klar geworden durch die Umstände, unter denen er gefallen ist – hatte er sich bereits auf den Tod vorbereitet.
Ein weiterer Fehler war, nicht zu unterscheiden zwischen Alten und Jungen. Das eine ist ein Commandante, der schon seit
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