Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
verloren hat, als sie zusehen musste, wie ihre Mutter dahinsiechte und starb.«
»Aber Gottes Wege sind unerforschlich oder etwa nicht?«, fragte Erlendur. »Kennt nicht er allein den Sinn solch einer Qual?«
»Ich wäre nicht in diesem Beruf, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass der Glaube uns hilft. Wenn wir ihn nicht hätten, wie wäre es dann um uns bestellt?«
»Hast du bemerkt, dass sie sich für übersinnliche Dinge interessierte?«
»Nein, nicht, dass ich wüsste. Aber wie ich schon sagte, sie war eher verschlossen und zurückhaltend, was ihr Privatleben betraf. Zumindest in gewissen Bereichen.«
»Inwiefern?«
»Sie glaubte an Träume. Sie war überzeugt, dass die ihr etwas über Dinge sagten, die wir im Wachen nicht sehen können. Das verstärkte sich mit der Zeit, und zum Schluss kam es mir so vor, als glaubte sie, dass Träume in gewissem Sinne ein Tor zu einer anderen Welt wären.«
»Einer jenseitigen Welt?«
»Ich bin mir nicht ganz sicher, was für eine Welt sie damit gemeint hat.«
»Und wie hast du darauf reagiert?«
»Mit dem, was wir in der Kirche verkünden. Wir glauben an die Auferstehung am Jüngsten Tag und an ein ewiges Leben. Die Wiederbegegnung mit den Liebsten ist der Kern der Osterbotschaft.«
»Glaubte sie an eine solche Wiederbegegnung?«
»Ja, ich hatte den Eindruck, dass ihr das in gewissem Sinne Trost gab.«
Elínborg begleitete Erlendur ein weiteres Mal, als er Marías Ehemann am Tag nach dem Gespräch mit der Pastorin wieder einen Besuch abstattete. Er schützte vor, seinen Notizblock vergessen zu haben. Elínborg stand mitten im Wohnzimmer neben ihm und sah ihn verwundert an, während er den Grund für seinen Besuch nannte. Erlendur hatte noch nie einen Notizblock besessen.
»Ich habe hier nichts gefunden«, sagte Baldvin und tat so, als blicke er sich forschend um. »Ich lasse dich wissen, falls ich ihn finde.«
»Vielen Dank«, sagte Erlendur, »und entschuldige die Störung.«
Elínborg lächelte peinlich berührt.
»Sag mir aber vielleicht noch eines. Ich weiß, es geht mich nichts an, aber hat María den Tod als das Ende von allem angesehen?«, erkundigte sich Erlendur.
»Das Ende von allem?«, fragte Baldvin erstaunt.
»Ich meine, hat sie an ein Leben nach dem Tod geglaubt?«
Elínborg warf ihm wieder einen erstaunten Blick zu. Noch nie hatte sie ihn eine Frage dieser Art stellen hören.
»Ich glaube, sie hat an die Auferstehung geglaubt, genau wie andere Christen auch«, antwortete Baldvin.
»Viele Menschen, die Probleme haben oder einen nahen Angehörigen verlieren, suchen nach Antworten, möglicherweise mithilfe von Séancen und mit sogenannten ›Sehenden‹.«
»Davon weiß ich nichts«, sagte Baldvin. »Wieso fragst du danach?«
Erlendur war im Begriff, ihm von der Bandaufnahme zu erzählen, die Karen ihm ausgehändigt hatte, besann sich aber. Das hatte Zeit. Es hielt es auf einmal nicht für ratsam, Karen mit in die Sache hineinzuziehen und von ihren Besorgnissen zu erzählen. Er war außerdem verpflichtet, das, was sie ihm gesagt hatte, vertraulich zu behandeln.
»Ach, ich denke bloß laut nach«, sagte Erlendur. »Wir haben dich lange genug aufgehalten. Entschuldige die Störung.«
Elínborg lächelte, als sie dem Mann die Hand gab und sich von ihm verabschiedete.
»Was sollte denn das?«, fragte sie wütend, als sie wieder im Auto saßen und Erlendur langsam losfuhr. »Die Frau hat Selbstmord begangen, und du faselst da etwas über ein Leben nach dem Tod. Dass du dich nicht schämst!«
»Sie hat an einer Séance teilgenommen«, sagte Erlendur.
»Woher weißt du das?«
Erlendur zog Karens Kassette aus der Tasche und reichte sie Elínborg. »Das ist eine Aufnahme von dieser Séance, die María besucht hat.«
»Eine Séance?«, sagte Elínborg verwundert. »Sie hat eine Séance besucht?«
»Ich habe mir nicht die ganze Kassette angehört. Eigentlich wollte ich ihm gestatten zu hören, was drauf ist, aber …«
»Aber was?«
»Ich würde gern herausbekommen, wer dieses Medium war«, sagte Erlendur. »Ich möchte wissen, was für ein Spiel der Mann gespielt hat und ob er womöglich diese tragische Entwicklung beschleunigt hat.«
»Du glaubst, dass er ein Spiel mit ihr gespielt hat?«
»Ja. Angeblich hat er ein Boot auf einem See gesehen und Zigarren gerochen. Blödsinn.«
»Das war wohl ein Hinweis auf die Umstände, unter denen ihr Vater umgekommen ist?«
»Ja.«
»Du glaubst nicht an Medien?«, fragte
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