Kaeltezone
sagte er.
»Wollt ihr zusammenbleiben?«, fragte Emíl zögernd.
»Was soll denn das? Selbstverständlich. Warum fragst du danach?«
»Du solltest dich in Acht nehmen«, entgegnete Emíl.
»Was meinst du denn damit?«
»Nichts. Nur, nachdem Hannes von der Uni geflogen ist, weiß man nicht, was passieren kann.«
Er erzählte Ilona von seinem Gespräch mit Emíl und versuchte, so gut es ging, es herunterzuspielen. Er sah ihr jedoch sofort an, dass sie beunruhigt war, sie fragte ihn in allen Einzelheiten danach, wie Emíl sich ausgedrückt hatte. Sie versuchten sich klar zu machen, was Lothar damit bezweckte. Er hatte offensichtlich angefangen, sie bei den anderen Studenten und bei denen, die Umgang mit ihr hatten, nämlich seinen Freunden, zu verleumden. War das womöglich nur der Anfang? Konnte es sein, dass Lothar sie ganz speziell observierte? Konnte es sein, dass er über die geheimen Treffen Bescheid wusste? Sie beschlossen, sich in den nächsten Wochen bedeckt zu halten.
»Im schlimmsten Fall schieben sie uns einfach ab«, sagte sie und versuchte zu lächeln. »Was können sie sonst schon tun? Wir machen dann dasselbe durch wie Hannes. Was Schlimmeres bestimmt nicht.«
»Nein«, sagte er tröstend, »Schlimmeres bestimmt nicht.« »Sie können mich wegen Verrat am Arbeiter-und Bauernstaat festnehmen«, sagte sie, »wegen demagogischer Umtriebe gegen die SeD. Worte haben sie genug dafür.«
»Kannst du nicht damit aufhören? Zumindest für eine Weile? Eine Zeit lang abwarten, was wird?«
Sie schaute ihn an.
»Was meinst du damit?«, sagte sie. »Ich lass mir doch von so einem Idioten wie Lothar keine Vorschriften machen.« »Ilona!«
»Ich sage meine Meinung«, erklärte sie. »Immer. Ich sage allen, die es wissen wollen, was in Ungarn passiert, was die Menschen für Veränderungen wollen. Das habe ich immer gemacht, wie du weißt. Ich habe nicht vor, damit aufzuhören.«
Sie schwiegen beide sorgenvoll.
»Was ist das Schlimmste, das sie tun können?«
»Dich nach Hause schicken.«
»Sie schicken mich nach Hause.«
Sie blickten einander in die Augen.
»Wir müssen uns in Acht nehmen«, sagte er. »Du musst vorsichtig sein. Versprich es mir.«
Wochen und Monate vergingen. Ilona machte weiter wie bisher, war aber vorsichtiger als je zuvor. Er ging seinem Studium nach, aber seine Sorgen um Ilona mehrten sich, und er bat sie immer wieder, Vorsicht an den Tag zu legen. Dann lief ihm eines Tages Lothar über den Weg. Er hatte ihn lange Zeit nicht gesehen. Er dachte an das, was im Anschluss an jene letzte Begegnung passiert war, und ihm wurde klar, dass es kein zufälliges Treffen sein konnte. Er kam aus einem Seminar und war auf dem Weg in die Stadt, um Ilona bei der Thomaskirche zu treffen, als Lothar um die Ecke bog. Er lief ihm direkt in die Arme. Lothar lächelte und begrüßte ihn herzlich. Er erwiderte den Gruß nicht und wollte weitergehen, als Lothar ihn am Arm packte.
»Grüßt du einen nicht mehr?«
Er riss sich los und ging weiter. Er war schon ein Stockwerk tiefer, als er sich wieder am Arm gepackt fühlte.
»Wir sollten miteinander reden«, sagte Lothar, als er sich umdrehte.
»Wir haben nichts miteinander zu bereden«, sagte er.
Lothar hatte zwar wieder sein Lächeln aufgesetzt, aber es erreichte nicht seine Augen.
»Ganz im Gegenteil«, sagte Lothar, »wir haben sehr, sehr viel miteinander zu bereden.«
»Lass mich in Ruhe«, sagte er, ging weiter die Treppe hinunter und gelangte auf die Etage, wo sich die Kaffeestube befand. Er blickte sich nicht um und hoffte, dass Lothar aufgegeben hätte, aber der Wunsch ging nicht in Erfüllung. Lothar hielt ihn wieder an und sah sich um. Er wollte kein Aufsehen erregen.
»Was soll denn das eigentlich?«, sagte er böse zu Lothar. »Ich habe nichts mit dir zu bereden, kapier das doch. Lass mich in Ruhe!«
Er versuchte, an ihm vorbeizukommen, aber Lothar verhinderte das.
»Was ist los?«, fragte Lothar.
Er schwieg und starrte ihm in die Augen.
»Was ist los?«, wiederholte Lothar.
»Nichts«, sagte er. »Lass mich in Frieden.«
»Sag mir, warum du nicht mit mir reden willst. Ich dachte, wir wären Freunde.«
»Nein, wir sind keine Freunde«, sagte er. »Hannes war mein Freund.«
»Hannes?«
»Ja, Hannes.«
»Ist es wegen Hannes?«, fragte Lothar. »Benimmst du dich seinetwegen so komisch?«
»Lass mich«, sagte er.
»Was habe ich mit Hannes zu tun?«
»Du …«
Er verstummte abrupt. Was hatte Lothar mit Hannes zu tun? Er hatte
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