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Kaeltezone

Kaeltezone

Titel: Kaeltezone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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unumstößliche simple Wahrheit nicht existierte. Sein Weltbild war ins Wanken geraten, und er musste sich mit ganz neuen und drängenden Fragen beschäftigen. Die erste und wichtigste war, wie er reagieren sollte. Er befand sich jetzt in der gleichen Situation wie Hannes. Sollte er sein Studium in Leipzig fortsetzen? Sollte er lieber nach Island zurückkehren? Die Voraussetzungen für seinen Studienaufenthalt hatten sich von Grund auf gewandelt. Was sollte er seiner Familie sagen? Aus Island war ihm zu Ohren gekommen, dass Hannes, der früher an der Spitze der Jugendorganisation gestanden hatte, Zeitungsartikel veröffentlichte und Vorträge hielt, in denen er von seinen Erfahrungen in der DDR berichtete und die kommunistischen Denkschablonen kritisierte. Das hatte nicht wenig Aufruhr und Empörung in den Reihen der isländischen Sozialisten verursacht, denn es schwächte die hehre Sache erheblich, nicht zuletzt auch wegen der Ereignisse in Ungarn.
    Er war immer noch Sozialist, und daran würde sich auch nichts ändern, aber der Sozialismus, den er in Leipzig kennen gelernt hatte, war nicht das, was ihm vor Augen schwebte.
    Und was würde aus Ilona werden? Er wollte nichts mehr tun ohne sie. Was immer sie von nun an unternahmen, unternahmen sie gemeinsam.
    Über all das sprachen sie während der letzten Tage ihrer Reise, und sie kamen zu einem gemeinsamen Ergebnis. Sie würde weiterstudieren und weiter Untergrundarbeit betreiben, Informationen weitergeben und von der Entwicklung in Ungarn berichten. Er würde ebenfalls weiterstudieren und so tun, als sei nichts vorgefallen. Er dachte an die Strafpredigt, die er Hannes gehalten hatte, als er ihn beschimpfte, die Gastfreundschaft der SeD zu missbrauchen. Jetzt hatte er genau dasselbe vor und konnte es nur schlecht vor sich selbst rechtfertigen.
    Er fühlte sich unwohl. Noch nie hatte er sich in einer so zwiespältigen Situation befunden. Zuvor war sein Leben viel einfacher und sicherer gewesen. Er musste an seine Freunde daheim denken, was sollte er ihnen sagen? Er hatte den Boden unter den Füßen verloren. Alles, an was er früher so fest geglaubt hatte, war ihm jetzt fremd. Er wusste, dass er auch weiterhin für die sozialistischen Ideale arbeiten würde, für eine gerechtere Verteilung des Reichtums und gegen Ausbeutung und Unterdrückung, doch der Sozialismus, wie er sich ihm in der DDR-Realität offenbarte, war nichts, woran man glauben oder wofür man kämpfen konnte. Sein Gesinnungswechsel hatte sich gerade erst angebahnt. Er würde einige Zeit brauchen, bis er das alles verarbeitet hatte, und in der Zwischenzeit hatte er nicht vor, radikale Entscheidungen zu treffen.
    Als sie wieder nach Leipzig zurückkamen, zog er aus der alten Villa aus und bei Ilona ein. Sie schliefen zusammen in ihrem schmalen Bett. Die alte Dame, die ihr das Zimmer vermietete, war zunächst dagegen, denn sie war katholisch und auf Sitte und Anstand bedacht, doch nach einigem Drängen gab sie nach. Er unterhielt sich manchmal mit ihr, und sie erzählte ihm, dass sie ihren Ehemann und ihre beiden Söhne bei der Belagerung von Stalingrad verloren hatte, und zeigte ihm Bilder von ihnen. Er verstand sich gut mit ihr und erledigte manches für sie, reparierte kleinere Sachen in der Wohnung, kaufte das eine oder andere an Lebensmitteln ein und kochte. Seine Freunde aus dem Wohnheim kamen manchmal zu Besuch, aber er spürte, wie er sich mehr und mehr von ihnen entfernte. Sie wiederum spürten, dass er anders war als sonst und nicht mehr so gesprächig wie früher. Emíl, der ihm am nächsten gestanden hatte, setzte sich einmal in der Unibibliothek zu ihm und brachte das zur Sprache.
    »Ist alles in Ordnung bei dir?«, fragte Emíl und zog die Nase hoch. Er hatte eine Erkältung. Der Herbst war nasskalt und düster, und im Wohnheim wurde es nicht richtig warm.
    »In Ordnung?«, wiederholte er. »Doch, bei mir ist alles in Ordnung.«
    »Ach, es ist nur, weil …«, sagte Emíl, »… oder … wir finden, dass du uns irgendwie aus dem Weg gehst, aber das ist vielleicht Quatsch.«
    Er sah Emíl an.
    »Natürlich ist das Quatsch«, sagte er. »Bei mir hat sich bloß so vieles geändert. Da ist Ilona. Du weißt doch, es hat sich vieles geändert.«
    »Ja, ich weiß«, entgegnete Emíl besorgt. »Natürlich, Ilona und so. Weißt du eigentlich irgendetwas über dieses Mädchen?«
    »Ich weiß alles über sie«, sagte er lachend. »Es ist schon alles in Ordnung, Emíl. Mach dir keine

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