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Kahlschlag (German Edition)

Kahlschlag (German Edition)

Titel: Kahlschlag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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hatte ihn bei dem Lager rausgelassen, das er sich hergerichtet hatte und das etwa zwei Meilen die Straße hinunter von ihrem Zelt entfernt lag. Es war eine einfache Schlafstätte, die er aus Ästen und Ähnlichem gebaut und über die er alte Hemden gehängt hatte, um halbwegs eine Hütte daraus zu machen. Als sie ihn fragte, woher er die Hemden hatte, gab er ihr zur Antwort, Clyde habe sie ihm überlassen. Als sie jedoch wissen wollte, wie sie miteinander klarkämen, wechselte er das Thema. Sie verabschiedete sich von ihm mit einem Kuss, der so sanft und süß war, wie sie noch nie einen Kuss empfunden hatte.
    Sie hätte Hillbilly gern mit zu sich genommen, fürchtete aber, Marilyn könnte am nächsten Morgen mit Karen zusammen auftauchen, und dann würde das keinen guten Eindruck machen – noch dazu, wo Karen Hillbilly anschmachtete wie eine läufige Hündin. Aber sie überlegte, ob sich nicht vielleicht etwas Besseres für ihn zum Wohnen finden ließe. Es wäre schön, wenn er eine richtige Unterkunft hätte und sie ihn dort besuchen könnte.
    Als sie zu Hause ankam, lief Ben herbei, um sie zu begrüßen. Sie sah, dass Clydes Pick-up bei der großen Eiche geparkt war. Auf dem Armaturenbrett lag ein Stiefel. Sie öffnete den Kofferraum ihres Wagens, holte die Kassette mit den Karten und den anderen Dingen darin heraus und ging zu dem Pick-up hinüber. Die Fenster waren heruntergekurbelt, also lehnte sie sich auf der Beifahrerseite in den Wagen hinein. Clyde lag quer über der Vorderbank, einen Fuß auf dem Armaturenbrett. Der Mond schien hell genug, dass Sunset sein Gesicht erkennen konnte, und mit den Haaren, die ihm in die Stirn fielen, den geschlossen Augen und den leisen Schnarchtönen, die er von sich gab, wirkte er wie ein großer Junge. Eigentlich war er richtig süß, sogar gutaussehend, nur ein bisschen ungehobelt.
    Sie ging, Ben dicht auf den Fersen, ins Zelt, stellte die Kassette auf den Tisch auf der Büroseite und versuchte, über die Geschichte nachzudenken, aber alles, was ihr in den Kopf kam, war Hillbilly und wie es da oben auf dem Aussichtspunkt gewesen war. Wie er sie zum Abschied geküsst hatte. Dann dachte sie: Wie bescheuert führe ich mich eigentlich auf? Ich träume vor mich hin wie ein Kind, dabei wirft man mir vor, einen Mord begangen zu haben. Nicht nur an Jimmie Jo und ihrem armen Säugling, sondern auch an Pete. Vermutlich würde Henry es so darstellen, als hätte sie Jimmie Jo getötet, weil Pete ein Verhältnis mit ihr hatte, und dass sie dann aus demselben Grund Pete umgebracht und behauptet hätte, es sei Notwehr gewesen.
    Und was noch schlimmer war: Ihre Tochter war in den Mann verliebt, dem sie sich vor Kurzem auf der Vorderbank ihres Wagens hingegeben hatte. Clyde lag draußen in seinem Pick-up wie ein sitzengelassener Halbwüchsiger, der darauf wartete, dass sie nach Hause kam. Und dann hatte sie auch noch rausgefunden, dass jemand Zendo um sein Land betrogen hatte, und sie hatte keine Ahnung, was sie deswegen unternehmen sollte.
    Und da war noch etwas. Etwas, das ihr im Hinterkopf herumging. Etwas, das sie fühlen, aber weder sehen konnte noch zu fassen bekam. Sie hätte gern einen Kaffee getrunken, überlegte sich dann aber, dass er ihr nicht guttun würde. Nicht um diese Uhrzeit, und außerdem war sie zu faul, jetzt welchen zu kochen. Dann dachte sie, dass sie vielleicht gern einen Schluck Whisky trinken würde, sogar Bulls schwarzgebrannten Schnaps, aber sie hatte keinen da. Zudem war ihr klar, dass sie das ziemlich schnell bereuen würde. Schließlich beschloss sie, zum Brunnen zu gehen und sich ein Glas Wasser heraufzupumpen. Ben lief ihr hinterher, und sie betätigte den Schwengel, bis etwas Wasser in die Schüssel floss, die sie dort für ihn stehen hatte. Das Wasser war kalt und süß, und sie stand neben der Pumpe und trank, während sie mit einer Hand den Kopf des Hundes streichelte, der aus der Schüssel trank.
    Sie hörte, wie die Tür des Pick-up geöffnet wurde. Clyde stieg leicht schwankend aus dem Wagen. »Hallo«, sagte er.
    »Hallo.«
    »Ich hab auf Sie gewartet.«
    »Das sehe ich.«
    »Sie sind ganz schön spät dran.«
    »Woher willst du das wissen? Du hast doch geschlafen.«
    »Es war schon spät, als ich eingeschlafen bin. Ich hab den Schwengel der Pumpe gehört.«
    »Tut mir leid.«
    »Schon gut.«
    »Hast du bei Zendo was rausbekommen?«
    Clyde holte die beiden Stühle, die sie draußen hatten stehen lassen, und trug sie zur Wasserpumpe. Sie setzten

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