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Kahlschlag (German Edition)

Kahlschlag (German Edition)

Titel: Kahlschlag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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vergingen, in denen der weiße Stofffetzen am Ast der Eiche flatterte, das Wetter mörderisch heiß wurde und die Bäume die Äste hingen ließen, als würde sich der Himmel mit seinem ganzen Gewicht auf sie stützen. Überall waren Heuschrecken und fraßen alles Grün, das sie finden konnten.
    Wenn man ging, war es, als würde man durch unsichtbaren Brotteig waten, und Atmen fühlte sich an, als würde man trockene Blätter einsaugen. Nachts setzte Sunset sich nach draußen unter die Eiche. Clyde hatte sich angewöhnt, auf Sunsets Grundstück in seinem Pick-up zu übernachten, und Lee und Goose schliefen auf der Büroseite des Zelts, während Sunset und Karen sich die andere Seite teilten.
    Aber wenn alle schliefen, ging Sunset nach draußen, rief Ben, zog sich einen Stuhl unter die Eiche und wartete auf Bull. Sie saß da und streichelte den Hund, bis es ihm zu viel wurde und er sich zu ihren Füßen hinlegte. In der dritten Nacht beschlichen sie allmählich Zweifel, ob Bull jemals auftauchen würde. Er schuldete ihr eigentlich nichts, und das Hilfsangebot, das er ihr gemacht hatte, war vielleicht längst vergessen. Vielleicht würde er auch nie wieder dort vorbeikommen und gar nicht wissen, dass dort ein Stofffetzen hing.
    Sie dachte über Hillbilly nach – wie er sie berührt, liebevoll mit ihr gesprochen und was sie dabei empfunden hatte. Dann dachte sie über Karen nach und darüber, was er ihr wohl gesagt hatte, um zu bekommen, was er wollte. Vielleicht dasselbe, was er zu ihr gesagt hatte. Obwohl sie sich, wenn sie es sich so überlegte, nicht erinnern konnte, dass er ihr irgendetwas versprochen hatte. Jedenfalls nicht mit Worten. Aber seine Hände, Lippen und Augen hatten Bände gesprochen, und dabei war es nur ein Haufen Lügen gewesen. Sie war froh, dass ihr Daddy ihn verprügelt hatte. Dennoch hoffte sie, dass er keine allzu schlimmen Schmerzen hatte. Und sie hoffte, dass sein Aussehen nicht gelitten hatte. Sie mochte ihn zwar nicht, aber sie wollte sich auch nicht vorstellen, dass er verunstaltet war. Solch eine Schönheit sollte nicht zerstört werden. Eigentlich sollte sie auch nicht dem Alter ausgesetzt werden, sollte sich kein bisschen verändern.
    Und was war mit Henry und McBride und diesem Kerl, den sie Two nannten? Was sollte sie mit denen machen? Was sollte sie überhaupt machen? Darüber grübelte sie gerade nach, als Lee, in jeder Hand eine Tasse Kaffee, aus dem Zelt herauskam. Sie sah hoch. »Ich dachte, du schläfst.«
    »Du glaubst jede Nacht, ich schlafe, während du hier draußen sitzt. Außerdem schnarcht Goose.« Er reichte ihr eine Tasse. »Ich dachte, du magst vielleicht einen Kaffee.«
    Sie lächelte ihn an. »Klar.«
    Lee gab ihr auch eine Tasse, zog den anderen Stuhl heran und setzte sich. Dann nahm er ihr die Tasse ab und nippte an der heißen Flüssigkeit.
    »Daddy, ich bin in einer blöden Situation. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    »Willst du damit sagen, du möchtest es mir erzählen?«
    »Ja.«
    Und das tat sie dann auch. Sie erzählte ihm alles: von Zendo und seinem Land, von Henry Shelby, McBride und Two, von ihrem Gespräch mit ihnen in der Kirche. Und zum ersten Mal erzählte sie jemandem von Bull, von dem Fetzen, den sie an die Eiche gehängt hatte. Zum Schluss sagte sie: »Ich fürchte, sie könnten es an Zendo auslassen. Ich habe gerade beschlossen, dass ich Clyde rüberschicke, vielleicht, damit er Wache steht, falls sie jemanden losschicken. Er soll seine Schrotflinte mitnehmen. Und dann ist da noch Bull. Er hat versprochen, er würde helfen.«
    »Die Leute versprechen viel.«
    »Glaub mir, das weiß ich.«
    »Ich habe auch so manches versprochen, aber heutzutage sage ich nichts mehr, wenn ich es nicht auch so meine. Glaubst du mir das?«
    »Ich versuche es. Ich möchte es ja gern glauben. Aber das ist die Geschichte meines Lebens – ich habe immer den falschen Leuten geglaubt.«
    »Na gut, ich sag dir mal, wie ich die Dinge sehe. Du kannst das Ganze von zwei Seiten betrachten: Dein Problem ist es eigentlich nicht. Du hast Zendo nicht übers Ohr gehauen. Du kannst nichts dafür, dass jemand ihn vielleicht umbringen will. Du könntest ihn einfach nur warnen und die Sache dann vergessen. Andererseits könnte das Land, wenn er erst mal aus dem Weg geräumt ist, mit ein paar geschickten Federstrichen ihnen gehören. Das könnten sie auch erreichen, wenn er am Leben bleibt, allerdings könnte er dann unter Umständen eine Menge Staub aufwirbeln, um zu beweisen,

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