Kahlschlag (German Edition)
entgegnete Sunset.
»Nein. Ich lieg einfach hier. Ich hab zugehört, was Sie und Lee und Bull geredet haben.«
»Das nennt man lauschen.«
»Das hab ich ja nicht vorsätzlich gemacht. Ich hab hier geschlafen.«
Sie öffnete die Beifahrertür und rutschte neben ihn auf die Bank, während er sich hinter dem Steuer aufrichtete. »Du hast selbst ein Zuhause.«
»Kann man so sagen. Wenn man verbranntes Holz mitzählt.«
»Hast du Bull gesehen?«
»Ich hab mal kurz hochgeschaut. Er ist riesig.«
»Allerdings.«
»Glauben Sie, Sie können ihm vertrauen?«
»Er ist hier aufgetaucht und hat gesagt, ich soll einen Stoffstreifen an den Baum dort hängen, wenn ich ihn brauche, und er ist gekommen. Also, ja. Clyde?«
»Ja?«
»Ich bin ganz schön blöd gewesen – was Hillbilly angeht, meine ich.«
»Da stimme ich Ihnen zu.«
»Manchmal ... da kann man etwas Gutes direkt vor sich haben, und man sieht es nicht, weil man drum herumsieht, weil man was anderes sehen will.«
»Sie reden jetzt nicht von mir, oder?«
»Doch.«
»Hören Sie, Sunset ... Wenn ich glauben würde, dass Sie das auch meinen ... also, was ich sagen will: Ich weiß, Sie meinen das nicht ... so. Aber wenn Sie irgendwas Nettes damit gemeint haben, egal was. Das würde mich glücklich machen. Aber Mitleid will ich nicht.«
»Mach mich nicht verrückt, Clyde. Sonst leihe ich mir deinen Totschläger und verprügle dich damit. Ich bin eine Idiotin. Das ist alles, was ich sagen will. Ich mache dir keinen Antrag oder irgend so was. Ich sage nicht, ich wäre verliebt. Was ich sage, ist: Ich war eine Idiotin, und du hast versucht, mir das klarzumachen. Du bist ein guter Freund.«
»Wieder muss ich Ihnen zustimmen.«
»In Ordnung, wenn ich dir einen Kuss gebe?«
»Einen freundschaftlichen, meinen Sie?«
»Klar.« Sunset lehnte sich hinüber und küsste Clyde auf die Wange.
»Der Kuss war jetzt kein Mitleid, oder?«
»Sei nicht blöd, Clyde. Ich wüsste nicht, für was ich dich bemitleiden sollte.«
»Das sagen Sie nicht nur einfach so?«
»Nein. Es war, was es war.«
»Egal, was es war, es war jedenfalls nett. Gute Nacht.«
KAPITEL 34
Als Zendo am nächsten Morgen die Maultiere aus dem Schuppen hinter seinem Haus herausgeholt, gefüttert, angeschirrt und aufs Feld gebracht hatte, fand er dort Bull unter der Eiche sitzen, wo er jeden Tag sein Mittagessen einnahm. Er hatte Bull schon ein paarmal gesehen, aber jetzt, aus der Nähe, machte er ihm richtig Angst. Er war riesig, sein Haar stand nach allen Seiten ab, und seine Augen wirkten irgendwie tot, wie bei einem Fisch, der zu lange außerhalb des Wassers gewesen war.
Zendo hatte die Maultiere am Seil geführt, um sie vor den Pflug zu spannen, den er auf dem Feld gelassen hatte, aber als er Bull sah, rief er: »Brrr«, und die Maultiere blieben stehen.
»Bist du Zendo?«, fragte Bull.
Zendo nickte. »Wie geht’s Ihnen, Mr. Bull?«, fragte er, ging um die Maultiere herum und blieb mit dem langen Seil in der Hand neben dem einen stehen.
»Oh, es geht schon so. Hab wohl keinen Grund zum Klagen, wo’s ja auch nicht viel ändert, wenn ich’s tu.«
»Ja, das ist bei mir genauso.«
»Naa«, sagte Bull. »Bei dir geht’s nicht so gut.«
Zendo hatte ein Gefühl, als würde ihm jemand einen Stock in den Hintern schieben. Wenn er eins wirklich nicht wollte, dann, dass der berühmte Bull Stackerlee wütend auf ihn war. Es erstaunte ihn, dass Bull überhaupt wusste, wer er war.
»Wieso das, Mr. Bull?« Zendo war überrascht, wie hoch seine Stimme klang.
»Nun ja, lass mich das mal anders sagen.« Bull erhob sich. »Die eine Sache ist, dir geht’s so gut, dass man die Engel singen hört, und du weißt nicht mal was davon. Die andere Sache ist, dein Schwanz steckt im Schraubstock, und der weiße Mann sitzt an der Handkurbel.«
»Da ist aber ein großer Unterschied zwischen beidem.«
»Ja. Willst du erst die gute Nachricht oder erst den Mist?«
Zendo, der so verwirrt war, als wäre er nackt in einer fremden Stadt aufgewacht, sagte: »Nun, Mr. Bull, vielleicht wär’s am besten, wir tun die schlechten Nachrichten erst mal hinter uns bringen, und dann streuen wir Zucker drüber.«
Hillbilly hatte aus einem Krug Wasser in eine Tasse gefüllt, die Tasse unter seine Eier gehalten, die Beine gespreizt, die Knie gebeugt und die Eier langsam in die Tasse hinabgesenkt. Das half ein bisschen gegen die Schmerzen. Er stand da, als würde er ein unsichtbares Pferd reiten. In der linken Hand
Weitere Kostenlose Bücher