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Kahlschlag (German Edition)

Kahlschlag (German Edition)

Titel: Kahlschlag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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ihr damals, als sie sechzehn war, den Hof gemacht hatte, hatte er auch nicht so ausgesehen. Sie hatte ihn geheiratet, weil sie ihn für einen netten Kerl und eine gute Partie gehalten hatte. Zwei Wochen später bekam sie eine Erkältung und wollte nicht mit ihm schlafen, aber er zwang sie dazu, und das sollte sich viele Male wiederholen.
    Sie schob die Hand in die Tasche, froh, dass sie den Revolver hatte.
    »Seid ihr Hobos?«, fragte der Mann. »Man trifft selten Frauen, die als Hobos unterwegs sind.«
    »Wir sind keine Hobos«, entgegnete Sunset.
    »Dann ist ja gut. Ihr seid nämlich ganz schön weit von der Bahnstrecke weg.«
    »Du aber auch.«
    »Stimmt.«
    Der Mann trug einen zerknautschten Hut, der zu groß für seinen Kopf war. Er nahm ihn ab und lächelte sie an. Er sah gut aus und war vielleicht doch nicht so jung, wie sie auf den ersten Blick gedacht hatte. An seinem Gürtel hing eine kleine Tasche. Über dem einen Auge hatte er einen dunkelblauen Fleck.
    »Ich bin auf der Suche nach Arbeit. Ein paar Hobos haben mir erzählt, hier gäb’s eine Sägemühle, die Leute einstellt.«
    »Ob Sie Leute einstellen, weiß ich nicht. Aber wenn du den Fluss entlang Richtung Westen gehst, stößt du direkt auf die Mühle.« Sunset wollte hinzufügen, er solle sich an Mr. Jones wenden, ihren Schwiegervater, auch Captain genannt, aber sie brachte die Worte einfach nicht über die Lippen. Er war nicht mehr ihr Schwiegervater. Ihr war nur noch Karen geblieben, und Karen hasste sie. Nun ja, vielleicht blieb ihr auch noch Marilyn. Die Sache mit Marilyn, die sie erst schlug und dann umarmte, hatte sie noch nicht so recht verdaut.
    »Das Mädchen da ist doch nicht tot, oder?«, fragte der Mann. »Du hast sie nicht etwa erschossen? Ich hab gesehen, wie du die Knarre eingesteckt hast. Du wirst mich doch nicht erschießen?«
    »Das ist meine Tochter. Sie schläft. Ein Wirbelsturm ist hier durchgezogen und hat unser Haus zerstört.«
    »Ich glaube, das war der, von dem ich noch die Ausläufer mitgekriegt hab. Da war ich gerade in einem Güterwaggon. Ziemlich schaurige Sache. Ich dachte schon, das verdammte Ding würde umkippen. Bist du auf der Jagd? Für Eichhörnchen eignet sich ne Pistole nicht so sonderlich.«
    »Nein, ich bin nicht auf der Jagd.«
    »Also dann. War nett, dich zu treffen. Wenn deine Tochter wach wär, würde ich das zu ihr auch sagen. Hat der Sturm dich so zugerichtet?«
    »Ein Sturm, genau.«
    »Ich heiße Hillbilly.«
    »Und ich Sunset. Meine Tochter heißt Karen.«
    »Du hast richtig schönes Haar. Deine Tochter auch, aber deins ist schöner. Deins ist Feuer, ihres ein Rabenflügel.«
    »Die Haare hat sie von ihrem Vater.«
    »Dann geh ich jetzt mal und schau, ob’s dort Arbeit gibt.«
    »Du siehst gar nicht aus wie ein Sägemühlenarbeiter.«
    »Bin ich auch nicht. Ich brauch einfach irgendeine Arbeit. Ich bin Musiker. Ich spiele Gitarre und singe.«
    »Und wo ist deine Gitarre?«
    »Die ist kaputtgegangen. Ich versuche, genug Geld zusammenzukriegen, damit ich mir eine neue kaufen kann.«
    »Viel Glück.«
    »Danke. Sieht man sich mal wieder?«
    Sunset überlegte einen Moment lang. Eigentlich war sie sich über gar nichts im Klaren, aber sie sagte: »Ja, ich denke schon, dass wir uns sehen. Nächstes Mal schaue ich hoffentlich besser aus. Normalerweise bin ich nicht so hässlich.«
    »Und ich normalerweise nicht so dreckig. Aber so hässlich bin ich immer.«
    Falsche Bescheidenheit, dachte Sunset. Er weiß, dass er gut aussieht.
    Hillbilly tippte sich an den Hut. »Na dann – mach’s gut.« Und fort war er.
     
    Die Sonne, die in der Farbe von frischem Eigelb erstrahlte, stieg höher und höher, und die Luft wurde so heiß wie ein Benzinfeuer. Die Hitze hing wie Leim zwischen den Bäumen, wurde klebrig, und der Kleber legte sich über Gott und die Welt. Um zehn Uhr morgens war jeder Arbeiter im Camp erschöpft, die Achselhöhlen trieften vor Schweiß, genau wie der Schritt, der zudem noch juckte. Wassertonnen wurden leer getrunken, und die Maultiere waren kurz vorm Aufgeben. Selbst die Ochsen, die sonst stur wie Hiob waren, fingen allmählich an zu schwanken und hatten Schaum vor dem Maul.
    An jenem Morgen ließ Jones in Waschzubern Eis ins Haus bringen, zusammen mit einem provisorischen Korbsarg, den er vom Besitzer des Ladens im Camp ausgeliehen hatte. Zack und ein weiterer Farbiger namens Hently stellten den Sarg im Wohnzimmer auf den Boden und kippten das Eis aus den Waschzubern hinein. Als sie Pete

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