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Kahlschlag (German Edition)

Kahlschlag (German Edition)

Titel: Kahlschlag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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aus Henrys Umfeld war. Da die Leiche in einer Kiste und nicht in einem Sarg beerdigt wurde, handelte es sich vermutlich um Henrys Frau. Es hieß, sie sei wunderlich und fett geworden, furchteinflößend und dauernd besoffen, und jetzt war sie wahrscheinlich tot.
     
    Goose saß in einem Schaukelstuhl auf der verwitterten Veranda der Hütte. Auf dem Schoß balancierte er einen Teller mit Brathähnchen. Mit fettigen Fingern stopfte er sich gierig Teile davon in den Mund. In der Nähe der Veranda hockte auf dem Boden eine gelbe Katze. Sie sah Goose beim Essen zu, und so, wie sie schaute, konnte man den Eindruck bekommen, dass es ihr dabei das Herz zerriss, den essenden Goose zu beobachten.
    Lee war mit Uncle Riley im Hof und legte zurechtgesägte Holzstämme auf einen Holzklotz, damit Uncle Riley sie mit der Axt spalten konnte. Uncle Rileys Unterhemd war mit dunklen Schweißflecken übersät. Jedes Mal, wenn er die Axt herabsausen ließ, gab er ein Grunzen von sich, während das Holz in zwei Hälften zersplitterte und die Heuschrecken einen Satz machten.
    »Ich hab noch nie so viel Heuschrecken auf einem Haufen gesehn«, sagte Uncle Riley.
    »Ich schon«, entgegnete Lee. »Es waren sogar noch mehr. Tausendmal mehr. Sie stürzten wie eine summende Wolke vom Himmel und fraßen alles, was grün war. Sogar Hemden.«
    »Wirklich?«
    »Nichts, was grün war, war vor ihnen sicher. Das war während der großen Trockenheit, und die Insekten hatten genauso viel Hunger wie alle anderen auch.«
    »Das ist ja ne Geschichte.«
    »Eine wahre Geschichte.«
    »Hätt ich nicht gedacht, dass so’n Insekt Farben unterscheiden kann.«
    »Ich sage nur, was ich gesehen habe.«
    Einige Zeit später meinte Uncle Riley: »Das reicht. Mit dem Holz kann man den Herd fürs Abendessen, Frühstück und morgen fürs Mittagessen anheizen. Außerdem tut mir der Rücken weh.«
    »Ich kann doch weitermachen.«
    »Naa. Das reicht.« Uncle Riley schlug die Axt in den Holzklotz, zog ein großes Taschentuch aus der Gesäßtasche und wischte sich damit den Schweiß von Gesicht und Nacken. Er warf einen Blick auf die Veranda, wo Goose gerade am Essen war. »Der Junge kommt schnell wieder auf die Beine.«
    »Ja. Dank dir und Aunt Cary.«
    »Sie kennt sich aus.«
    »So etwas habe ich noch nie erlebt. Und noch was: So viel, wie er hier zu essen bekommt, hatte er die ganze Woche zusammen noch nicht im Magen. Ich weiß das sehr zu schätzen.«
    »Ganz schön mager, das Bürschchen. Sind Sie sein Vater?«
    Lee schüttelte den Kopf. »Er hat mir von seiner Familie erzählt, und dass er sie verlassen hat, damit sie es zu Hause einfacher haben, aber ich denke, sie haben ihn einfach irgendwo ausgesetzt. Ich glaube nicht, dass er nach Hause könnte, selbst wenn er wollte. Er und ich, wir haben zusammen auf einer Farm gearbeitet, sind um unseren Lohn geprellt worden und waren gemeinsam auf der Straße unterwegs. Dann wurde er von der Schlange gebissen, und Marilyn kam vorbei. So sind wir hier gelandet. Gott sei Dank.«
    »Lassen Sie ihn mal lieber noch ein oder zwei Tage hier.«
    »Das höre ich gern, er kann es wirklich brauchen. Aber ich will euch nicht länger zur Last fallen.«
    »Tun Sie doch nicht. Sie sind seit langer Zeit der Erste, wo ich mit Dame spielen kann.«
    »Du magst mich nur, weil du jedes Mal gewinnst.«
    »Das auch.«
    »Nein. Ich denke, ich muss los. Ich muss jemanden besuchen, ein paar Dinge klären, so weit sie sich klären lassen. Aber ich gehe nicht weit weg, und ich komme zurück. In der Zwischenzeit solltet ihr Goose von eurem Bett auf eine Pritsche verlegen. Es war wirklich sehr christlich von euch, ihm einfach so euer Bett zur Verfügung zu stellen.«
    »Was machen wir mit ihm, wenn er wieder gesund ist?«, fragte Uncle Riley.
    Lee sah zu Goose hinüber, der gerade völlig ausgehungert das letzte Stück Huhn in sich hineinstopfte. »Keine Ahnung.« Ihm ging durch den Kopf, dass er dem Jungen versprochen hatte, nicht wegzugehen, und jetzt hatte er genau das vor. Immer wollte er bleiben, und immer lief er davon. Vielleicht sollte er den Jungen mitnehmen. Vielleicht sollte es ab jetzt so sein. Dass man Menschen, die einem etwas bedeuteten, nicht im Stich ließ.
    Während sie sich unterhielten, kam Marilyns Pick-up, in dem immer noch alles Mögliche hin- und herflog, in den Hof eingebogen. Lee sah ihr zu, wie sie aus dem Wagen stieg, und stellte fest, dass sie hübsch und frisch aussah in ihrem hellgrünen Kleid mit dem weißen Saum. Uncle Riley

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