Kahlschlag (German Edition)
waren. Wegen dem großen Überhang hinter und über der Drogerie mit all den Pinien und Eichen obendrauf gelangte nicht viel Sonnenlicht in die Fenster, und im Eingangsbereich gab es kein elektrisches Licht, nur ein paar Kerosinlampen, und auch die brannten nur selten, sodass alles immer im Halbdunkel lag. Etwa in der Mitte des großen Zimmers stand ein überflüssiger Raumteiler aus Holz, an dem man rechts oder links vorbeigehen konnte. Der Raumteiler reichte nicht bis zur Decke, und wenn man groß genug war, konnte man darüber hinwegblicken. Rooster war noch nie rechts herum gegangen, an den Fenstern und dem Licht vorbei, immer nur links durch den dunklen Flur, wo die Dielen Geräusche machten wie berstendes Eis, und von wo man ihn in die kaum erhellten Zimmer dahinter führte, wo sich McBride meist aufhielt. Hinter diesem wiederum lagen weitere Zimmer, in denen er allerdings noch nie gewesen war. Aber er hatte den Käfermann dort rauskommen sehen, und er mochte ihn nicht. Er hatte ihn so getauft wegen des langen Mantels, den er trug, und wegen der kleinen schwarzen Melone auf seinem Kopf. Er fand, damit sah der Mann aus wie ein großes Insekt.
Rooster ging die Treppe hinauf, nestelte an seinem Waffengurt herum, straffte die Schultern und klopfte an die Tür. Nach einiger Zeit wurde sie von einer Frau geöffnet, die schwarze Seidenstrümpfe und darüber einen roten Strumpfhalter trug. Davon abgesehen war sie nackt. Eine Hand hielt sie über ihre Scham, als ob sie so irgendetwas verstecken könnte. Ihre Brüste baumelten hin und her, ihr blondes Haar war hochgekämmt und zurückgesteckt, und einige lose Strähnen fielen ihr ins Gesicht, als würden ihr Sonnenstrahlen über den Kopf gleiten. An einem Nasenflügel hatte sie eine kleine Narbe.
Rooster zog fast schon ehrfürchtig den Hut und behielt ihn in der Hand. Das war deutlich besser, als vom Käfermann in Empfang genommen zu werden.
»Komm rein, Süßer«, sagte sie und nahm die Hand von dem weg, was sie verborgen hatte, als würde es genügen, dass sie es wenigstens versucht hatte.
Er hatte sie schon mal gesehen – allerdings noch nicht das, was er jetzt sah –, aber er wusste nicht, wie sie hieß. Als sich die Blonde umdrehte und vor ihm hermarschierte, schwangen ihre nackten Arschbacken von einer Seite zur anderen wie zwei glückliche Säuglinge auf einer Schaukel.
Sie gingen links an der Trennwand vorbei, an der eine Reihe dekorativer Silbertabletts hingen. Rooster sah sein Spiegelbild in einem der Tabletts, zusammengepresst und verzerrt von Silber und Licht. Sie kamen an der glänzenden Bar vorbei und betraten ein Zimmer, in dem mehrere Sofas, ein Bett und ein Tisch mit einer weißen Tischdecke standen. Auf dem Tisch blitzten eine silberne Kaffeekanne, silberne Tassen und silberne Teller. Darüber war eine elektrische Lampe angebracht, die man mittels einer Schnur an- und ausknipsen konnte. Die Birne war staubig und gab nicht viel Licht. Ein Deckenventilator wirbelte die Luft herum, die nach Knoblauch und Tabak stank, gemischt mit ein bisschen Schwefelgeruch von angerissenen Streichhölzern.
McBride lag auf dem Sofa direkt dem Eingang gegenüber. Der Rauch seiner Zigarre füllte seine Seite des Zimmers aus und hing wie eine blauschwarze Wolke über ihm. Er trug einen aschgrauen Seidenmorgenmantel, der halb offenstand. Die Haare auf seiner Brust und seinen Unterarmen waren grau, und sein Schnurrbart war zu schwarz. Rooster schätzte ihn auf sechzig, auch wenn er wie ein gut erhaltener Fünfzigjähriger aussah. Er hatte die blöde Perücke aufgesetzt, die er immer trug, wenn er in der Wohnung war, ein riesiges schwarzes Ding, das überhaupt nicht zu seiner roten irischen Haut passte. Wenn McBride aus dem Haus ging, trug er eine schwarze Melone ohne die Perücke. Die Melone saß sehr eng, damit sie bei Wind nicht davonflog und den Schädel entblößte, der, so schätzte Rooster, kahl oder fast kahl war.
»Rooster«, sagte McBride und stand auf. Der Morgenmantel öffnete sich weit, und Rooster sah mehr von McBride, als ihm lieb war. McBride ging zum Tisch und setzte sich auf einen der Stühle. Dabei verrutschte seine Perücke. Rooster versuchte, nicht hinzusehen, aber er wusste auch nicht recht, wo er sonst hinsehen sollte: oben das Haar, und unten, nun ja, da gab’s jede Menge McBride.
»Setz dich, Rooster. Kaffee?«
Rooster gehorchte. »Von mir aus.«
»Gut. He, Schlampe, mach uns Kaffee.«
»Ich bin doch nicht Ihr Dienstmädchen«, sagte die
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