Kain
rechtfertigte. Es war, als lebte in ihr eine andere Frau, völlig unabhängig vom Herrn oder einem von ihm bestimmten Ehemann, eine Frau, die beschlossen hatte, endlich voll und ganz das Sprechen und die Sprache zu nutzen, die der besagte Herr ihr sozusagen in den Mund gestopft hatte. Sie durchschritt den Bach, genoss die Kühle des Wassers, die sich scheinbar über die Adern in ihr ausbreitete, und empfand zugleich eine Stimmung, die vielleicht so etwas wie Glück entsprach, zumindest war sie diesem Wort sehr ähnlich. Der Magen machte sich mit Kneifen bemerkbar, positive Gefühle zu genießen, dafür war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Sie trat aus dem Wasser und ging ein paar saure Beeren pflücken, auch wenn sie nicht nährten, so täuschten sie doch für kurze, sehr kurze Zeit über das Essbedürfnis hinweg. Der Garten Eden ist nicht mehr weit, die Kronen der höchsten Bäume sind schon deutlich zu sehen. Eva geht langsamer, doch nicht etwa, weil sie müde wäre. Wäre Adam da, würde er sie bestimmt auslachen, So mutig und forsch erst, und dann stirbst du vor Angst. Ja, sie hatte Angst, Angst zu versagen, Angst, nicht über genügend Wörter zu verfügen, um den Wachposten zu überreden, so mutlos war sie, dass sie leise vor sich hin sprach, Wäre ich ein Mann, wäre es einfacher. Da steht der Cherub, sein Feuerschwert funkelt wie ein böses Licht in seiner rechten Hand. Eva bedeckte ihre Brust besser und ging weiter. Was willst du, fragte der Engel, Ich habe Hunger, antwortete sie, Hier gibt es nichts, was du essen könntest, Ich habe Hunger, sagte sie wieder, Du und dein Mann, ihr wurdet vom Herrn aus dem Garten Eden vertrieben, und sein Spruch ist unwiderruflich, verzieh dich, Tötest du mich, wenn ich versuche hineinzugehen, fragte Eva, Dafür hat der Herr mich als Wache postiert, Du hast meine Frage nicht beantwortet, So lautet die Anweisung, die ich habe, Mich zu töten, Ja, Du wirst also der Anweisung gehorchen. Der Cherub antwortete nicht. Er schwenkte den rechten Arm, das Feuerschwert zischte wie eine Schlange. Das war seine Antwort. Eva tat einen Schritt nach vorn. Bleib stehen, sagte der Cherub, Du musst mich töten, ich bleibe nicht stehen, und sie tat noch einen Schritt, du wirst hier einen Garten mit vergammeltem Obst hüten, das niemand essen will, Gottes Obstgarten, den Obstgarten des Herrn, fügte sie hinzu. Was willst du, fragte der Cherub wieder, offenbar war ihm nicht klar, dass die Wiederholung der Frage als ein Zeichen der Schwäche ausgelegt werden würde, Ich sage noch einmal, ich habe Hunger, Ich dachte, ihr wäret schon weit weg, Ja, wohin hätten wir denn gehen sollen, fragte Eva, wir befinden uns mitten in einer Wüste, die wir nicht kennen und in der kein Weg zu sehen ist, in einer Wüste, in der in diesen Tagen keine Menschenseele vorbeigekommen ist, wir haben in einem Loch geschlafen, haben Gras gegessen, wie der Herr uns verheißen hat, und wir haben Durchfall, Was ist das, Durchfall, fragte der Cherub, Man kann es auch Dünnschiss nennen, der Wortschatz, den der Herr uns gelehrt hat, gibt viel her, Durchfall haben oder Dünnschiss, wenn dir dieses Wort besser gefällt, bedeutet, dass du die Scheiße, die du in dir hast, nicht halten kannst, Ich weiß nicht, was das ist, Das ist der Vorteil, ein Engel zu sein, sagte Eva und lächelte. Ihr Lächeln gefiel dem Cherub. Im Himmel wurde auch viel gelächelt, doch immer engelhaft und mit leicht widerstrebendem Gesichtsausdruck, als entschuldigte man sich dafür, dass man zufrieden ist, sofern es so etwas wie Zufriedenheit gab. Eva hatte die dialektische Schlacht gewonnen, nun musste sie noch die Schlacht ums Essen gewinnen. Der Cherub sagte, Ich bringe dir ein paar Früchte, aber sag es nicht weiter, Mein Mund wird sich nicht öffnen, aber mein Mann muss es in jedem Fall erfahren, Komm morgen mit ihm wieder her, wir müssen uns unterhalten. Eva zog sich das Fell von den Schultern und sagte, Nimm das hier zum Tragen der Früchte. Sie stand bis zur Taille nackt da, Das Schwert zischte kräftiger, als hätte es einen plötzlichen Energieschub bekommen, von derselben Energie, die den Cherub veranlasste, einen Schritt nach vorn zu tun, derselben, die ihn veranlasste, die linke Hand zu heben und die Brust der Frau zu berühren. Mehr geschah nicht, mehr konnte nicht geschehen, denn den Engeln ist, solange sie solche sind, jeglicher fleischliche Verkehr verboten, nur gefallenen Engeln steht es frei, sich mit dem- oder derjenigen
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