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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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Stern auch tragen muß«, und er zerrte an seinem Jackett, um mir den gelben Judenstern zu zeigen, der dort in Brusthöhe angenäht war. Seit kurzem mußten alle Juden diesen Stern tragen.
    »Ihr seid doch auch Juden, Vali?« sagte Max.
    »Das wissen Sie. Warum fragen Sie mich?«
    »Um Gottes willen, versteh mich nicht falsch!« Max war in großer Verlegenheit. »Ich wollte dir nur sagen, daß ich Angst um euch habe.«
    »Haben Sie um sich selbst keine Angst?« fragte ich.
    Er winkte ab. »Wer bin ich denn, Vali? Ein alter Mann, zu nichts mehr zu gebrauchen.« Max war nicht älter als fünfzig. Er fuhr fort: »Aber ihr, Paula, du und Alex, ihr seid noch jung.« Und Max berichtete mir, immer noch im Dunkeln, daß andere Juden, die mit ihm in der Ziegelei in Bad Soden arbeiteten, erzählt hätten, es sei nicht wahr, daß die Juden, die man angeblich zur Umsiedlung nach dem Osten abtransportiere, auch wirklich umgesiedelt würden. Man schaffe sie in Lager, wo man sie umbringe. Er packte mich fest am Arm, um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen, und beschwor mich, wir sollten schnellstens Deutschland verlassen, wenn es überhaupt noch gehe. Wir seien in großer Gefahr, und er wisse genau, daß hier mit den Juden noch viel Schlimmes passieren werde. »Geh jetzt, Vali«, sagte er, drehte sich um und ließ mich stehen.
    Ein Jahr später holte die SA ihn am frühen Morgen ein zweites Mal, niemand im Haus hatte es gemerkt. Erst als einige Tage danach die Polizei die Zimmertür öffnete und man sein ärmliches Mobiliar herausschleppte, wußten wir Bescheid.
    Max Himmelreich kam nicht wieder.
     

Kristallnacht
    1935 hatte ich eine Lehre als Technischer Zeichner begonnen. Mama hatte es so gewollt. Es war eine Zeit, an die ich nur ungern denke, weniger darum, weil ich im dritten Lehrjahr hinausgeworfen wurde, sondern weil ich mich dabei an zwei äußerst unangenehme Arbeitskollegen erinnere. Der eine war ein Asthmatiker und Kettenraucher, chronisch verschleimt, der ständig mit gräßlichem Geräusch ins Taschentuch spuckte und nach jeder Zigarette mit einem quietschenden Gummiball irgendwelches Zeug inhalierte, so daß unser Konstruktionsbüro vom Morgen bis zum Abend nach Kampfer und Eukalyptus stank. Der andere war ein schwuler SS-Mann. Er stellte sich häufig, wenn ich am Zeichenbrett stand, schräg hinter mich, tat so, als wolle er mir etwas erklären, und drückte mit seinem geschwellten Geschlechtsteil gegen meine Hüfte. So machte er es auch bei den zwei anderen Lehrlingen. Er war vorsichtig genug, mir nicht zu folgen, wenn ich schnell einen Schritt seitwärts tat. Ich hatte nie eine Vorliebe für Männer, obwohl mich die Berührung sehr erregte, denn bis dahin hatte Mama mit Erfolg verhindert, daß ich Liebschaften mit Mädchen anknüpfte. Darum war ich für homoerotische Angebote eher empfänglich als andere Jugendliche meines Alters. Gefährlicher wurde es, wenn der SS-Mann mir auf die Toilette folgte und mich, während wir die letzten Tropfen abschüttelten, zur gegenseitigen Pimmelbesichtigung einlud. Feige wie ich bin, hätte ich das möglicherweise getan, wie auch die beiden andern Lehrlinge es getan haben, doch aus Furcht, meine kupierte Vorhaut könne ihm auffallen, weigerte ich mich entschieden.
    Eines Tages heftete ihm einer der Lehrlinge in der Mittagspause eine Zeichnung ans Reißbrett, auf der ein Totenkopf, das SS-Symbol, zu erkennen war; aber es war wiederum nicht das SS-Symbol, sondern das Warnzeichen »Vorsicht Gift!«, nur daß anstelle der Knochen zwei stramme Schwänze sich kreuzten. Er erschrak sehr und zerriß das Blatt sofort. Von dem Tag an hörten seine Annäherungsversuche auf.
    Der SS-Mann hatte Glück, nie denunziert zu werden. Mitten im Krieg traf ich ihn in Uniform und mit mehreren Tapferkeitsauszeichnungen dekoriert wieder.
     
    Ein verwachsener Materialverwalter war schuld daran, daß ich ein Jahr vor Beendigung der Lehre entlassen wurde. Wir Lehrlinge spielten dem Materialverwalter manchen Streich, und als sich ihm ein einziges Mal die Möglichkeit zur Rache bot, schlug er zu. Einmal erwischte er mich während der Arbeitszeit im italienischen Eissalon in der Frankenallee, meldete es der Geschäftsleitung und behauptete obendrein, ich hätte ihm einige Bleistifte gestohlen, was aber eine böswillige Erfindung war.
    Die Entlassung löste eine familiäre Katastrophe aus, denn mit ihr wurde das Prinzip der Unauffälligkeit, das Fundament unserer Tarnung, durchbrochen. Dem Tag, da

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