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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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(: Schläfenlocken bei frommen Juden) gestutzt. Der sah hinterher wie eine Runkelrübe aus. Das war vielleicht komisch. Und geglotzt hat er wie ein Frosch.«
    Ein älterer Kollege fragte: »Prügel haben die Juden auch bekommen?«
    »Was wollen Sie damit sagen?« fragte der Scharführer.
    »Gar nichts. Man hört so allerhand.«
    »Sie haben wohl noch Mitleid mit denen?«
    Der Kollege schwieg. Beleidigt und sozusagen mißverstanden zog sich der Hitlerjunge zurück. Später stellte er sich zu mir ans Zeichenbrett, um noch mehr von seinen Heldentaten zu berichten. Sein HJ-Trupp war zur Synagoge in der Friedberger Anlage abkommandiert worden. Gegenüber der Synagoge am Anlagenring stand bereits ein Auto, das mehrere Benzinkanister geladen hatte. Der Brandanschlag war also gründlich vorbereitet. Durch das Hauptportal und die zertrümmerten Fenster gossen sie das Benzin in das Gebäude und zündeten es mit Hilfe getränkter Putzwollappen an. Noch zweimal mußten sie Benzin nachschütten und von neuem anzünden, bis die Synagoge endlich in Flammen stand.
    Ich saß an meinem Zeichentisch und versuchte, gleichgültig auszusehen. Doch meinem Arbeitskollegen mußte etwas an mir aufgefallen sein. Er unterbrach seine Erzählung und fragte: »Interessiert dich das nicht?«
    »Ehrlich gesagt: nein.«
    »Magst du die Juden?«
    Was sollte ich ihm darauf antworten? Zwar fiel mir das Lügen nicht schwer, ich hatte es, solange ich mich erinnern kann, geübt. Aber jetzt konnte ich nicht anders. Ich sagte: »Ob ich die Juden mag oder nicht, ist schließlich egal. Du kannst dir deine Geschichten sparen. Was heute nacht mit den Juden geschehen ist, das halte ich für ein Unrecht, das ist einfach unchristlich.«
    Der HJ-Führer war auf diese Antwort nicht gefaßt. Er starrte mich eine Zeitlang an, dann zischte er: »Du bist mir ja ein feiner Volksgenosse!«
    »Laß mich in Ruhe.« Ich drehte mich zu meinem Zeichenbrett um.
    Doch er ließ mich nicht in Ruhe. »Mach nur, ich bin neugierig, was du sonst noch auf Lager hast.«
    Jetzt merkte ich, daß ich zu weit gegangen war.
    »Daß du Bescheid weißt«, sagte er förmlich, »das werde ich weitermelden, dazu bin ich verpflichtet.«
    Am Nachmittag rief mich der Chef, Herr Bernhardt, zu sich ins Büro. Bei ihm saß der HJ-Führer.
    »Stimmt es, Herr Senger, daß Sie über die heutigen Ereignisse diese Äußerungen getan haben?« fragte mich der Chef.
    »Ich habe nur gesagt -«
    Heftig unterbrach er mich: »Was Sie >nur< gesagt haben, weiß ich bereits. Ich dulde in meinem Betrieb keinerlei politische Stänkereien, die gegen den Staat oder die Partei gerichtet sind. Merken Sie sich das. Hiermit erteile ich Ihnen einen Verweis! Haben Sie noch etwas zu sagen? Nein? Dann können Sie gehen.«
    Es hätte bei Gott schlimmer kommen können. Ich hoffte nur, der Hitlerjunge würde es dabei belassen, mich beim Chef angeschwärzt zu haben. Es beruhigte mich etwas, daß er auch am Nachmittag im Büro blieb. So konnte er, wenigstens an diesem Tag, keine Parteistelle informieren. Eine halbe Stunde später rief mich Herr Bernhardt wieder zu sich. Diesmal war er allein. »Setzen Sie sich.« Seine Stimme klang anders als vorher, freundlicher. »Ich hoffe, Sie haben kapiert, was für eine große Eselei Sie gemacht haben. Ist Ihnen denn klar, in welcher Zeit wir leben? Da kann man doch nicht einfach so daherreden! Ich habe mich entschlossen, Sie zu versetzen. Sind Sie damit einverstanden, daß ich Sie ins Hauptwerk in den Riederwald schicke?«
    »Wenn es sein muß.« Eigentlich war es mir recht so, denn es war schon eine starke Belastung, den HJ-Scharführer den ganzen Tag am Zeichenbrett vor dem meinen stehen zu haben und zu wissen, daß er jede Gelegenheit wahrnehmen würde, mich erneut zu denunzieren, das nächste Mal vielleicht bei der Partei. Und dann war ich wirklich dran.
    »Ihr Arbeitskollege wird keine Ruhe geben«, fuhr Herr Bernhardt fort. »Ich halte es für das Beste, wenn Sie in den Riederwald gehen.« Er stand auf, was bedeutete, daß die Unterredung beendet war. Und da sagte er noch einen Satz, den ich von ihm nicht erwartet hätte, denn er gab sich immer sehr verbunden mit dem Hitlerstaat: »Zu dem, was heute in Frankfurt passiert ist, kann man seine eigene Meinung haben, aber die behält man für sich. Das war's, was ich Ihnen sagen wollte. Gehen Sie jetzt an Ihre Arbeit.«
    Herr Bernhardt hat während der ganzen Hitlerzeit immer »seine Pflicht getan«, war ein verläßlicher Werksführer und hat

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