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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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Mama wegen der Entlassung in die Luftheizungswerke, meine Lehrfirma, gerufen wurde, folgte ein fürchterlicher Abend mit Vorwürfen, Schreien und Weinen, Mamas Herzattacke und Papas Verzweiflungsgebärden mit ausgebreiteten Armen.
    Als wir alle vor Erschöpfung, ich zusätzlich vor Scham, stiller geworden waren, nannte jemand den Namen Fanny Ritter. Sie war eine Freundin von Mama, ebenfalls Jüdin und gut bekannt mit dem angesehenen Frankfurter Industriellen Remy Eyssen, Inhaber der altrenommierten Eisen- und Stahlbaufirma Fries Sohn. Wenn sie ihn dazu überreden könnte, so überlegten wir, daß seine Firma in den unterbrochenen Lehrvertrag einträte, wäre ich gerettet.
    Fanny Ritter ging, ohne lange zu überlegen, zu Remy Eyssen und erzählte ihm, was geschehen war und wer ich in Wirklichkeit bin, fügte jedoch die fromme Lüge hinzu, ich wolle nach Abschluß der Lehre nach Palästina auswandern.
    Das Wunder geschah: Remy Eyssen erfüllte ihre Bitte und stellte mich, einen Juden, ein - und das im Jahr 1938! Mein Arbeitsplatz war aber nicht im Hauptwerk im Riederwald, sondern in dem kleineren Werk Süd in Sachsenhausen. Vorher rief mich Remy Eyssen noch zu sich ins Chefbüro, um mir zu sagen, ihn interessiere nicht, was geschehen sei, ich habe mich ordentlich zu betragen und nach Beendigung meiner Lehrzeit die Firma wieder zu verlassen. Ich versprach es ihm und war auch redlich bemüht, während der restlichen zwölf Monate meiner Lehre unauffällig zu bleiben. Aber dann kam der November 1938 und die Kristallnacht.
     
    »Oj wej, wird das Zores geben!« sagte Mama, als die Nachricht über den Rundfunk kam, ein gewisser Grienspan habe in Paris den deutschen Gesandtschaftssekretär vom Rath erschossen. Der Getötete stammte aus einer alten Frankfurter Familie. Mama nahm die Hände an die Backen und bekam ganz große ängstliche Augen. »Auf so etwas haben die ja nur gewartet.« Nach einer Weile fuhr sie, jedes Wort betonend, fort: »Alles, was wir bisher von den Hitlers erlebt haben, wird ein Dreck sein gegen das, was jetzt kommt.«
    Mama hatte wie immer recht. Als ich am andern Morgen auf dem Weg zu meiner Arbeitsstelle in Sachsenhausen war, holte mich auf dem Eisernen Steg eine junge Sekretärin ein. »Haben Sie schon gehört, die Synagoge am Börneplatz brennt, und im Sandweg schlagen sie die Schaufenster von jüdischen Geschäften ein und werfen alles auf die Straße.«
    Wir kamen ins Büro. Dort war bereits eine große Aufregung, alle redeten durcheinander, jeder wußte etwas anderes. Nicht nur die Neue Synagoge am Börneplatz brenne, sondern alle Synagogen ständen in Flammen, im gesamten Ostend und auch im Nordend würden Juden aus ihren Wohnungen getrieben und alle jüdischen Geschäfte demoliert.
    Ich wartete darauf, daß der Hitlerjunge käme, der im Konstruktionsbüro vor mir am Zeichenbrett stand. Er war im letzten Lehrjahr und zwei Jahre älter als ich. Häufig kam er in seiner HJ-Uniform zur Arbeit. Als Zeichen seiner Scharführerwürde hing ihm eine geflochtene Schnur von der Achselklappe in einem Bogen bis zum mittleren Hemdenknopf. Er wußte immer zuerst Bescheid, wenn wieder einmal Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung unternommen wurden.
    So erregt ich auch war, ich durfte mich nicht verdächtig machen, nicht mehr Neugierde zeigen als die andern. Aber ich hielt es nicht mehr aus, zog meine Jacke an und rannte los zum Börneplatz. Von weitem schon sah ich in Richtung der Synagoge eine große Rauchwolke am Himmel.
    Und dann stand ich in der Menschenmenge auf dem Platz und sah die Flammen, die aus dem großen Kuppelbau des Gotteshauses schlugen. Etwa hundert Meter von der brennenden Synagoge entfernt bildeten SA-Leute und Hilfspolizisten einen Kordon, so daß niemand näher an die Brandstelle herankonnte. Ganz vorne, noch vor der Absperrung, stand eine Gruppe Hitlerjungen, feixte und lachte und machte eine Gaudi aus dem schrecklichen Geschehen.
    Die Menschen hinter der Absperrung waren eher betreten, ich hörte kein Wort der Zustimmung. Neben mir erzählte eine Frau, sie habe gesehen, wie man am Zoologischen Garten Juden mit Lastwagen abtransportiert habe. Ein Mann sagte, er komme gerade von der Friedberger Anlage, die dortige Synagoge brenne ebenfalls und auch die Alte Synagoge an der Allerheiligenstraße.
    Neben dem wie eine Pechfackel lodernden Rundbau standen zwei Feuerwehrwagen, einer mit einer großen Leiter, die aber nicht ausgefahren war, und ein Gerätewagen. Mit Löschschläuchen in den

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