Kaiserkrieger: Der Aufbruch
Dass er trotz dieser Mengen nicht einmal ansatzweise Ausfallerscheinungen zeigte, ja nicht einmal besonders gut gelaunt erschien, gab Julia zu denken.
»Ich … ich werde ja in Kürze das Unternehmen meines Vaters übernehmen«, erklärte Martinus etwas schwerfällig, als wolle er selbst nicht wahrhaben, was er verkündete. »Mein Vater setzt große Hoffnungen in die neuen Wirtschaftsreformen des Kaisers. Der Handel wird sich intensivieren, sagt er. Ich muss bereit sein, sagt er .«
»Und was sagt Ihr, mein lieber Verlobter«, raspelte Julia ihr eigenes Süßholz. »Was sind Eure Ambitionen, Martinus ?« Sie lächelte kokett. »Ich bin aus gutem Hause und einen gewissen Standard gewöhnt. Ihr wisst schon – Kleidung, Schmuck, Bedienstete, Belustigungen. Habt Ihr schon einmal Spiele im Circus Maximus veranstaltet ?«
Martinus sah Julia leicht gequält an, bemühte sich aber, die Fassung zu wahren.
»Noch nicht«, brachte er hervor. »Aber unsere Hochzeit soll mir Anlass genug sein, Spiele auszuloben .«
Julia sah Martinus in gespielter, aber überzeugender Empörung an.
»Wir sind ein christlicher Haushalt! Wir lehnen Spiele als barbarischen Akt ab und wünschen nicht, damit in Zusammenhang gebracht zu werden !«
Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel an der tiefen Abneigung und Martinus lief rot an. Lucia warf ihrer Tochter einen scharfen Blick zu. Sie war wenig davon begeistert, dass die Verlobte ihren zukünftigen Ehemann dermaßen ins Messer laufen ließ. Doch Julia beschloss, die Klinge noch einmal umzudrehen.
»Ihr seid doch auch Christ, Martinus !«
»Sicher, sonst hätte Euer Vater der Vermählung wohl nicht zugestimmt«, gab der junge Mann etwas selbstsicherer zurück und schaffte es endlich, sich dazu zu überwinden, dem Sklaven mit dem Wein zu winken. Dieser eilte herbei und füllte den Becher bis zum Rand. Als Martinus das Getränk etwas hastig zum Mund führte, fügte er den bereits vorhandenen Flecken einige weitere hinzu. Julia lächelte honigsüß, während Lucia sich offenbar gerade noch davon abhalten konnte, mit den Augen zu rollen. Auch ihr Ehemann hatte seine kleinen Laster, doch seine Gelüste konzentrierten sich auf edles Konfekt und nur in geringerem Maße den Wein.
»Das freut mich«, sagte Julia lächelnd. »Ich finde es aber doch sehr seltsam, dass Ihr Spiele abhalten wollt. Tiere und Menschen zur allgemeinen Belustigung zu töten, ist eines Christenmenschen nicht würdig. Das sollte gerade ein Anhänger des Arianus offen vertreten. Ihr seid doch Arianer ?«
Julia wusste, dass Martinus zum einen nur pro forma ein Christ war und sich zum anderen durch Glaubensdinge sicher nicht von seinen zahlreichen Vergnügungen abhalten ließ. Gerade das Verbot des Ehebrechens würde, so sagte man, bei ihm auf besonders geringe Gegenliebe stoßen. Und dass Marcellus, und damit auch seine Familie, Trinitarier waren, war allgemein bekannt, wenngleich der Senator darum nie besonders viel Aufheben machte. Im Gegensatz zu anderen seiner Glaubensgenossen, allen voran Bischof Ambrosius, war er nicht der Ansicht, dass ein Disput um ein wichtiges Detail, aber doch eben nur ein Detail, die ganze Kirche in Aufruhr versetzen sollte. Das wiederum wusste Martinus offenbar auch nicht. Jedenfalls lief er rot an und er suchte verzweifelt nach dem richtigen Gedanken. Um Zeit zu schinden, sprach er erneut dem Wein zu.
Natürlich musste Lucia ihrer Tochter das letzte bisschen Freude nehmen.
»Macht Euch nichts daraus, lieber Martinus«, säuselte sie und warf Julia einen warnenden Blick zu, »es ist nicht so wichtig. Das Haus des Marcellus ist für seine Toleranz bekannt, und statt der Spiele wollen wir gerne ein großes Bankett ausrichten, das allen Geschmäckern entgegenkommen dürfte .«
Martinus lächelte dankbar und machte eine zustimmende Geste. Julia war sich sicher, dass jedes Bankett für ihn annehmbar war, solange dabei guter Wein in ausreichender Menge ausgeschenkt wurde. Sie sah, wie der junge Mann den Kelch in einem Zug leerte und sich danach die Lippen leckte. Nein, berichtigte sie sich, es würde wohl auch genügen, wenn der Wein schlecht war.
Um sich von ihrem nahenden Schicksal abzulenken, ließ Julia ihren Blick über die kleine Schar geladener Gäste wandern. Als sie eines alten Herren angesichtig wurde, der sich trotz seines fortgeschrittenen Alters kerzengrade hielt und unter dem belanglosen Geschwätz der Gesellschaft mindestens ebenso zu leiden schien wie sie, hellte sich ihre Miene sofort
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