Kaiserkrieger: Der Aufbruch
Weit weg von der Saarbrücken, die immer noch wie sonst nichts »Heimat« für ihn symbolisierte, war dieses eine Stadttor sein Berührungspunkt mit dem Abgrund der Zeit und seinem eigenen Leben vor jener verhängnisvollen und rätselhaften Reise. Vielleicht ging er immer wieder hierher, um sich zu vergewissern, dass er existierte. Die Porta Nigra war wie er ein Zeitreisender, nur in die andere Richtung, der ihn im 20. Jahrhundert besucht hatte, so wie er nun zurückgekommen war, um den Gegenbesuch abzustatten.
Ein alter Freund, sozusagen.
Der junge Mann mit der schlaksigen Gestalt schob den Gedanken fort. Vor ihm wartete ein weiteres Glied in der endlosen Kette von Besprechungen, die er im Auftrage Rheinbergs mit den führenden Generälen des Reiches, oft in Gegenwart von Gratian selbst, führte. Es ging um große Pläne gegen große Bedrohungen. Heute war der Feldherr des Ostens, der dann doch nicht zum Imperator ernannte Theodosius, in Trier eingetroffen, hatte die Vorbereitungen eines Feldzuges gegen die aufsässigen Sarmaten unterbrochen. In den kommenden Tagen wurde auch Rheinberg selbst wieder in Trier erwartet. Von Geeren sehnte diesen Moment herbei, denn so erfrischend auch die Gespräche mit den professionellen römischen Offizieren waren, so ermüdend, ja ernüchternd waren die Endlosigkeiten und Unterschwelligkeiten des römischen Hofes. Dieser Ort kam ihm vor wie eine Schlangengrube und sein völliges Unverständnis politischer Ränkespiele hatte aus ihm einen verschlossenen, nur das Nötigste sprechenden Mann gemacht, peinlich darauf bedacht, nur nicht das Falsche zu sagen.
Und da er nicht einmal ahnte, was falsch oder richtig in den meisten Begegnungen wäre, sagte er lieber gar nichts.
Es dauerte eine halbe Stunde, ehe er sich durch die mehrfachen Schichten an Wachen und Hofschranzen gewunden hatte und er im Besprechungszimmer stand, das er in den letzten Wochen so gut kennengelernt hatte. Was er an diesem Raum am meisten schätzte, war der große steinerne Kamin, dessen wärmendes Feuer angesichts der winterlichen Temperaturen hochwillkommen war. An den Wänden hingen Teppiche mit zahlreichen Ornamenten, die den Raum zusätzlich wärmten. Auf dem mit Mosaiken übersäten Boden stand ein mächtiger Holztisch, auf ihm ausgebreitet eine neue Karte des Römischen Reiches. Sie war vor allem deswegen neu, weil sie von den besten Kartenzeichnern des Kaisers auf der Grundlage des weitaus akkurateren Kartenmaterials der Saarbrücken angefertigt worden war. Die römischen Karten hatten nicht immer die richtigen Maßstäbe und Abstände besessen, und obgleich es sich als schwierig erwiesen hatte, die exakte Position antiker Ortschaften in den deutschen Karten auszumachen, hatte man sich anhand zweifelsfrei zu identifizierender Orientierungspunkte nach und nach zurechtgefunden. Und so verfügten die Generäle jetzt über eine große, maßstabsgetreue und die Entfernungen einigermaßen verlässlich beschreibende Karte nicht nur des Reiches, sondern auch aller umliegenden Gebiete. Als ob dies die Römer nicht schon genug verblüfft hätte, hatten sie die Existenz Amerikas mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. Zu von Geerens Erstaunen hatten sie weder der Existenz Indiens noch Chinas etwas Überraschendes abgewinnen können, obschon sie sich nicht ganz im Klaren über die Entfernungen gewesen waren. Zu beiden Territorien bestanden, wenngleich über Umwege, Handelsbeziehungen. Aber die beiden großen amerikanischen Kontinentalhälften sowie die große Ausdehnung Afrikas gen Süden hatten zu heißen Diskussionen geführt, ebenso die Existenz Australiens. Einige wagemutige Offiziere hatten gar die Ausrüstung einer Expedition nach Amerika vorgeschlagen, jetzt, da ihnen neue, hochseetüchtige Schiffskonstruktionen zur Verfügung standen. Die Idee war nicht weiter diskutiert worden, aber von Geeren war sich sicher, dass sie im Hinterkopf so manches abenteuerlustigen Mannes gären und reifen würde.
An der Wand aufgespannt hing eine noch größere Version dieser Karte, sorgfältig gezeichnet auf fein gegerbtem, hellem Leder. Auf beiden Karten gab es Markierungen für Truppenstandorte und die Namen benachbarter Reiche oder dort lebender Völkerschaften waren akkurat eingetragen. Dominierend auf der Karte des Holztisches war ein großer, roter Pfeil: Er symbolisierte den Aufmarschweg der Hunnen, soweit dieser aus dem wissenschaftlichen Material in Kapitän Rheinbergs persönlicher Sammlung zu entnehmen war. Und
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