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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Hamburg. Dieses Fegefeuer gutbürgerlicher Langeweile an der kühlen Nordsee hatte ihn so reizbar gemacht, dass seine damalige vorübergehende Verlobte ihn noch vor dem letzten Tag des Urlaubs verlassen hatte. Es war also wirklich an der Zeit, endlich für bessere Ferienerinnerungen zu sorgen. Prieß’ Entschluss stand fest: Er würde, ohne zu zögern, in das Reisebüro hinuntergehen und eine Zeppelin-Reise nach Rio buchen.
    Gerade wollte er aus dem Drehsessel aufstehen, als er Schritte hörte. Sie drangen zwar nur gedämpft vom Korridor durch die Tür, aber sie kamen näher. Nur die hohen Absätze von Damenschuhen konnten so auf den Fliesen klappern. Und wer immer die Frau war, die dort durch den Flur ging, sie wollte wahrscheinlich zu ihm; keines der übrigen Büros in der obersten Etage war vermietet.
    Gerade jetzt! , dachte Prieß und verzog missmutig den Mund. Er wollte keinen neuen Auftrag, nicht zu diesem Zeitpunkt. Er wollte nur möglichst bald seine Reise nach Brasilien buchen und für einige Wochen keine untreuen Ehemänner bespitzeln müssen. Mal sehen, wie ich sie schnell und elegant abwimmeln kann.
    Die Schritte waren jetzt ganz nah. Hinter dem Milchglaseinsatz der Tür zum Korridor erschien eine Silhouette, die Prieß für einen Moment stutzen ließ. Der Schatten schien ihm zu einem schlanken Mann mit breitkrempigem Hut zu gehören. Flüchtig zuckte ihm die Frage durch den Kopf, was das wohl für ein Mann sein mochte, der Stöckelschuhe trug und die Dienste eines Privatdetektivs brauchte.
    Dann klopfte es, nicht laut, aber fest. Noch bevor Friedrich Prieß reagieren konnte, wurde schon die Klinke hinuntergedrückt und die Tür öffnete sich.
    Es war dann doch eine Frau, die den Raum betrat. Und dazu noch eine sehr attraktive, wie Prieß feststellte. Ihr Gesicht war gleichmäßig, aber nicht langweilig, ihre dunklen Augen verrieten Intelligenz und Aufmerksamkeit. Die schwarzen Haare trug sie im Nacken zusammengesteckt, und auf dem Kopf saß ein weicher Hut, wie ihn sonst Männer trugen; allerdings erfreuten sich Hüte mit maskuliner Note seit längerer Zeit besonders bei Geschäftsfrauen großer Beliebtheit. Dazu passte das elegante graue Kostüm mit dem wadenlangen engen Rock und dem tailliert geschnittenen Blazer nach Art eines Herrenjacketts. Die Frau mochte etwa Mitte dreißig sein, und wenn sie auf der Straße an ihm vorübergegangen wäre, hätte Prieß sich sicher nach ihr umgedreht.
    Doch zwei Dinge an ihr beunruhigten ihn: Sie trug am Arm einen schmalen Trauerflor aus schwarzer Seide, und auf dem Gesicht mit den wachen Augen lag ein Ausdruck, den er nicht einordnen konnte. Es schien wie eine Mischung aus Entschlossenheit und unbestimmtem Zorn, der sein Ziel noch nicht gefunden hatte. Der Detektiv ahnte, dass diese Frau nicht zu ihm gekommen war, weil sie belastende Fotos ihres Gatten benötigte.
    »Herr Friedrich Prieß?«, sagte sie. Es war eine Frage, aber der Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass sie sich absolut sicher war, mit wem sie sprach.
    »Der bin ich«, antwortete Prieß. Er stand zur Begrüßung kurz von seinem Stuhl auf. Dabei wies er auf einen der zwei Sessel vor dem Schreibtisch. »Bitte nehmen Sie doch Platz. Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Frau …?«
    »Diebnitz. Franziska Diebnitz«, antwortete die Frau und setzte sich. In der kurzen Pause, die dabei entstand, ließ sie ihren Blick rasch durch das Büro schweifen. Es war, als ob sie Anhaltspunkte dafür suchte, wie sie den Mann vor sich einzuschätzen hatte.
    »Franziska Diebnitz? Dann sind Sie vermutlich mit dem Besitzer der Kunsthandlung Diebnitz verwandt?«
    »Das könnte man sagen. Ich bin die Eigentümerin«, antwortete sie, wobei für einen winzigen Augenblick die Andeutung eines Lächelns auf ihren Lippen zu sehen war. Doch es verschwand so schnell wieder, wie es gekommen war.
    Prieß hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Er kannte natürlich den Namen von Hamburgs zweitgrößter Kunsthandlung, aber er hatte sich kaum je Gedanken darüber gemacht, wem sie wohl gehören mochte – und wenn doch, dann hatte er sich den Besitzer als einen älteren Herren mit Bauchansatz, wenig Haaren und einer teuren kubanischen Zigarre vorgestellt. Dass die Galerie einer attraktiven Frau gehören könnte, war ihm nicht eine Sekunde in den Sinn gekommen. Er wollte sich schnell entschuldigen, aber noch bevor er passende Worte finden konnte, sprach Franziska Diebnitz schon weiter:
    »Sie haben einen Bekannten von mir

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