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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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desselben Tages außerhalb Lübecks tot aufgefunden worden sei. Man hatte seinen Körper abseits bewohnten Gebiets entdeckt, er lag neben seinem Dienstwagen.«
    »Ich verstehe«, sagte Prieß. »Aber was ist mit dem Abschiedsbrief, den Sie erwähnten? Was stand darin? Das könnte von Bedeutung sein.«
    Anstelle einer Antwort öffnete die Witwe ihre Handtasche und zog ein Blatt Papier hervor, das sie Prieß reichte.
    Es handelte sich um die Agfagraphie eines kurzen handschriftlichen Textes.
    »Dies ist der Abschiedsbrief. Er lag auf dem Fahrersitz seines Automobils. Die Kieler Polizei hat ihn mir gestern ausgehändigt, und das auch nur, nachdem ich mit einer Beschwerde in Berlin gedroht habe. Falls Sie lieber das Original sehen möchten, kann ich es Ihnen bringen lassen.«
    Der Detektiv schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke, diese Fotokopie sollte ausreichen. Wenigstens im Augenblick.« Dann machte er sich daran, die wenigen Sätze zu lesen, was dank der klaren, fast schon kantigen Schrift nicht schwerfiel:
      
Geliebte Franziska,
      
es tut mir unendlich weh, Dir auf diese Weise Schmerzen zu bereiten, doch ich sehe keinen anderen Ausweg mehr. Ich habe mir moralische und sittliche Verfehlungen zuschulden kommen lassen, die uns, sollten sie jemals bekannt werden, in Schande stürzen würden. Das möchte ich Dir ersparen, und aus diesem Grunde wähle ich den einzigen Weg, der mir noch bleibt. Mein Tod wird Dich, so hoffe ich, davor bewahren, zusammen mit mir in den Abgrund der Unehre gerissen zu werden.
      
Dein Dich liebender Gustav
      
    Nachdem Friedrich Prieß den Brief zweimal sorgfältig durchgelesen hatte, legte er die Kopie beiseite. Er überlegte für einige Sekunden, um die Frage, die er Franziska Diebnitz stellen wollte, so taktvoll wie möglich zu formulieren. Dann kam er jedoch zu der Überzeugung, dass diese Frau es vermutlich am meisten schätzte, wenn man unumwunden sagte, was man meinte. Also fragte er:
    »Frau Diebnitz, welche ›moralischen und sittlichen Verfehlungen‹ meinte Ihr Mann, als er diesen Brief schrieb?«
    Ihre Antwort folgte sofort: »Ich habe nicht die geringste Vorstellung. Und Sie dürfen mir glauben: Ganz gleich, was es gewesen sein sollte – er hätte sich nicht in den Tod geflüchtet.«
    »Auch nicht, um Sie dadurch zu schützen?«
    »Dann wäre er erst recht nicht diesen Weg gegangen. Sehen Sie, er war ein Mann, der immer versucht hat, alles unter Kontrolle zu halten und lenken zu können. Mit seinem Tod hätte er aber genau das Gegenteil erreicht, denn er hätte unmöglich mit Sicherheit vorauskalkulieren können, wie sich die Dinge nach seinem Selbstmord weiterentwickeln würden. Hätte er mich vor irgend etwas beschützen wollen, dann hätte er um nichts in der Welt auf eine so endgültige Weise alle Möglichkeiten, selber einzugreifen, aus der Hand gegeben.«
    Prieß wollte etwas erwidern, aber ihm fiel nichts ein, was er hätte entgegensetzen können. Er musste sich eingestehen, dass Franziska Diebnitz absolut einleuchtend argumentierte – vorausgesetzt, sie irrte sich nicht, was den Charakter ihres verstorbenen Ehemanns betraf.
    »Ich habe natürlich versucht, das auch der Polizei zu erklären«, fuhr sie fort, »und habe die Verantwortlichen dort gebeten, genauere Ermittlungen anzustellen. Daraufhin ließ man mich sehr schroff wissen, dass ich mich gefälligst nicht in polizeiliche Angelegenheiten einzumischen hätte und dass Art und Umfang der Untersuchungen, die man durchführte, mich nicht zu interessieren hätten. Da ich also von offizieller Seite wohl keine Unterstützung erwarten kann, habe ich mich nun entschlossen, mich an Sie zu wenden.«
    »Ihr Vertrauen ehrt mich natürlich«, meinte Prieß nachdenklich, »aber ob ich Ihnen bei dieser Sache von Nutzen sein kann …«
    »Sie werden es versuchen.« Sie sah ihn direkt an, und es gelang Prieß nicht, ihrem Blick auszuweichen. »Machen Sie sich keine Gedanken über Ihre Bezahlung. Falls Sie sich bereit erklären, für mich zu arbeiten, werden Sie tausend Mark erhalten. Ich will die Wahrheit wissen. Wenn Sie mir eindeutige Beweise bringen, dass mein Mann sich tatsächlich aus Verzweiflung erschossen hat und seine Beweggründe herausfinden, dann werde ich mich damit abfinden müssen, ihn nie wirklich gekannt zu haben. Sollten Sie jedoch auf Hinweise stoßen, dass sein Tod tatsächlich, wie ich fest überzeugt bin, andere Ursachen hatte, dann wünsche ich, dass Sie alles aufdecken. Unabhängig davon, welche

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