Kaktus zum Valentinstag
einer Kirche kommen!«
Sie sagt erst mal gar nichts. Heute haben wir zur Abwechslung mal vertauschte Rollen im Anschweigen:
»Was ist los?«, will ich wissen.
»Peter, du verlangst für mich derzeit unmögliche Dinge!«
»Das finde ich Ä-B! Ä-Ä-B! Das ist nicht unmöglich, es ist das Leben. Das Leben außerhalb dessen, was du in den letzten Jahren erlebt hast. Ich verstehe Weihnachten als das Fest der Ruhe, der Liebe, des Lichts und des Lebens. Als ich klein war, hing in unserer Kirche immer ein riesiger, gelber, leuchtender, spitzzackiger Stern an der Decke.
Der Stern, das Licht, das den Weg ins Leben zeigen soll. Das war und ist für mich die Botschaft. Wenn ich zu diesem Stern ohne dich gehen soll, dann brauche ich keine Freundin. Entweder gehen wir den Weg dorthin zusammen oder wir müssen uns jetzt trennen.«
»Warum drohst du mir immer wieder mit Trennung?«, fleht mich Martina an.
In mir toben wieder mal die ewig konkurrierenden Sehnsüchte, die sich nun zu einer sehr turbulenten Strömung vermischen. Ich will Martina, aber ich will auch das behalten, was ich brauche, um zu leben. Ich will, dass sie die Bedeutung dieser Dinge erkennt, sonst geht es einfach nicht. Es gibt Dinge, die sind nicht verhandelbar, wie die Sache mit der Kirche. Da muss sie mit rein.
»Damit du später mal wieder problemlos und unbefangen in eine Kirche gehen kannst, wäre ich jetzt dafür, dass ich endlich mal ›del *.*‹ mache, also alles bei dir lösche, und so die Sache mit den Zeugen Jehovas endlich mal ins Archiv wandert!«
»Was meinst du mit › del *.* ‹ ?«
»Na ja, mit diesem DOS-Befehl löscht man alles auf dem Computer! Weil du mit deiner Vergangenheit bei den Zeugen Jehovas eigentlich abgeschlossen hast, bist du für mich wie eine neu bespielbare Festplatte. Dich kann man sozusagen neu formatieren, wobei der Bootsektor natürlich erhalten bleibt, da stehen nämlich deine grundlegenden Eigenschaften drin, die ich so doll an dir liebe, mein süßes Gnubbelchen!«
Mit Computern kenne ich mich besser aus als mit Menschen. Die Reformatierung meines Gnubbelchens wird wohl noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Einblick in eine fremde, emotionale Welt
Das Formatieren wird in der nächsten Auto-Session fortgesetzt. Die meisten Sektoren sind bereits zu meiner Zufriedenheit geklärt.
»Bis auf die Reise- und Tropentauglichkeit, die natürlich erfüllt sein muss, damit wir auch viele Reisen in alle Welt zusammen machen können, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass wir trotz oder gerade wegen der ganzen klärenden Auto-Sessions, die unsere Wahrnehmungsunterschiede zusammenbringen sollen, gut zusammenpassen. Aber ich weiß bis heute nicht, ob du das genauso siehst?«
Stille.
Dann sagt sie auf einmal: »Ich schreibe Tagebuch. Dort habe ich auch über uns bereits viel notiert. Ich habe den Eindruck, dass du mich nicht verstehst. Wenn du möchtest, bringe ich es morgen mal mit. Und dann darfst du es mal lesen. Vielleicht verstehst du dann, was mich bewegt und warum. Du scheinst nicht zu wissen, wie die Dinge, die du machst und sagst, auf andere wirken.«
Als wir uns das nächste Mal wieder bei Frau Vogt in Gettorf treffen, gibt mir Martina ihr Tagebuch. Ein rotes, stoffchinesisches Büchlein mit blumig eingerahmten Segelschiffen auf der einen und Fischen auf der anderen Seite. Wie Wasserzeichen im Papier. In diesem Buch lese ich für mich ganz, ganz merkwürdige Dinge.
»Das Einzige, was mich an ihm stört, ist seine ewige Angst, dass ich nicht die Richtige für ihn sein könnte. Bei allem, was ich sage und was für ihn auf den ersten Blick unverständlich erscheint oder was er auch einfach missverstanden hat, ist er gleich erschreckt und ich muss ihn erst mal beruhigen! Ständig lebe ich in der Angst, dass ich irgendetwas an mir haben könnte, was ihn vielleicht doch so erschreckt, dass er mich fortschickt.«
Das ist ja interessant, sie hat also Angst, dass ich sie in die Prärie schicke, während ich Angst haben soll, dass sie nicht die Richtige für mich ist. Aber kann man das Angst nennen, wenn ich Bedenken habe? Skepsis würde ich das eher nennen. Natürlich bin ich erschreckt, wenn wieder etwas kommt, was ich so nicht geplant habe. Sind denn andere Menschen nicht so? Ist das Angst? Für mich ist es eher Frust, Wut, Verzweiflung, aber unter Angst verstehe ich etwas anderes. Wenn ich früher als kleiner Junge vor dem Unbeherrschbaren, dem Gewitter Angst hatte, so große Angst, dass ich schrie, dass ich mich
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