Kaktus zum Valentinstag
Rede. Weißt du denn überhaupt, welche Farbe meine Augen haben?«
»Blau! Klar weiß ich das. Wenn du nicht weißt, was ich für eine Augenfarbe habe, dann hast du mich noch nie wirklich angekuckt. Das finde ICH jetzt mal Ä-B! Jawohl! Liebst du mich dann überhaupt?«
»Ich schaue aber immer da hin!«, sage ich fingerzeigend auf ihre Nasenwurzel. »Und da grinsen mich die Pünktli auf deiner Erdbeernase an.«
Da es für mich kein Entrinnen aus diesem blöden Augenfarbenquiz gibt, kann ich nur hoffen, dass das für sie genauso unwichtig ist wie für mich. Nach einer Weile Stille im Gespräch stellt Martina auf einmal eine Frage, die mich wie ein Blitz aus blauem Himmel trifft:
»Was verstehst du denn eigentlich unter Liebe?«
Eine verdammt einfache Frage mit einer verdammt schwierigen Antwort! Ich habe keine Ahnung, was ich ihr darauf mal so eben antworten soll, ohne mir meine Rede lange und planvoll überlegt zu haben. Das Allererste, was mir durch den Kopf schießt, sind diese »Liebe-ist …«-Cartoons. Weil ich in Bildern denke, also immer erst Bilder sehe.
Da sie aber darauf besteht, jetzt oder zumindest gleich eine wörternde Antwort zu erhalten, fühle ich mich wie ein Löwe in der Ecke. Kein Entrinnen. Wenn ich sie wirklich lieben würde, müsste ich darauf eine spontane Antwort parat haben, meint sie. Wieder einmal kämpft die Spontanität in mir gegen das Verlangen nach Vorbereitung. So stammele ich erst einmal los:
»Also, es ist für mich Liebe, wenn ich etwas besonders mag, wenn ich sehr traurig würde, wenn es nicht mehr da ist, wenn …«
»Ja, aber …«
»Liebe ist auch, sich über vertraulich intime Dinge zu unterhalten, sich gegenseitig zu unterstützen. Liebe ist zum Beispiel auch unser Streicheln.«
»Aber …«
»Liebe ist, wenn wir zusammen Fahrrad fahren. Oder Liebe ist, wenn wir zusammen auf einer Bank sitzen und den Sonnenuntergang anschauen. Oder wenn …«
»Ja, aber was ist denn nun Liebe für dich? Das sind doch alles nur Sachen, die man macht oder sieht?«, würgt sie meine beginnende Aufzählung ab.
Okay, so komme ich nicht weiter. Stattdessen male ich ihr ein mathematisches Koordinatensystem auf:
Koordinatensystem der Liebe
»Lass es mich so erklären. Da haben wir eine x-Achse, die nach rechts zeigt. Und da haben wir eine y-Achse, die nach oben zeigt. Die x-Achse zeigt den Verlauf der Zeit an. Die y-Achse stellt die Intensität der Beziehung dar. Je höher der Wert, desto intensiver ist die Beziehung. Für die Beziehungsintensität gibt es einen Idealzustand, dem man sich mit der Zeit immer mehr annähert! Liebe ist dann die Annäherung an diesen Idealzustand, der eine Asymptote ist, eine Liebesasymptote also. Je höher diese Asymptote im Koordinatensystem liegt, desto größer ist die Liebe.«
»Was für eine Tote?«
»Mathekurs, Abitur. Du musst doch wissen, was eine Asymptote ist …«
»Nee, habe ich vergessen!«
»Egal. Also jetzt ganz langsam zum Mitschreiben: Wir können nun drei Funktionen in dieses Diagramm einzeichnen, die charakteristische Verläufe haben, die ich in eine A-Phase, eine B-Phase und eine C-Phase unterteilen möchte.
In der A-Phase lernt man sich oberflächlich kennen. Zwei Menschen begegnen sich und entscheiden spontan anhand oberflächlicher Merkmale über gegenseitige Sympathie oder Antipathie. Diese A-Phase beginnt im Ursprung, also dem Moment des erstmaligen Sehens und damit dem Beginn des Kennenlernprozesses. Eine A-Phase findet mit jedem Menschen statt, mit dem ich mich kommunikativ näher beschäftige. Die A-Kurve zeigt also an, wie das erste Kennenlernen abläuft. Vom ersten Eindruck am Ursprung des Koordinatensystems bis hin zu einem Maximum an neuen Eindrücken. Die Entdeckung neuer Facetten am Gesprächspartner ist sehr intensiv und lässt allmählich immer mehr nach. Man könnte auch sagen, die A-Kurve zeigt die Intensität des oberflächlichen Kennenlernens eines Menschen an. Das könnte auch ein Mensch sein, mit dem ich beruflich zu tun habe.
Dann gibt es da die B-Phase. In dieser Phase lernen sich die beiden Menschen näher kennen. Die B-Kurve ist sozusagen der Charaktercheck. In dieser Phase stellt man im gegenseitigen Einvernehmen fest, ob man zueinander passt oder nicht. Diese Funktion beschreibt das Testen des Gesprächspartners oder Freundes auf dauerhafte Sympathie. Im Gegensatz zur A-Phase, die praktisch nur das Erstellen eines ersten Gesamteindrucks abbildet, endet diese Phase nie. Die zugehörige Kurve strebt
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