Kaktus zum Valentinstag
erwartest, dass ich mit dir schlafe?«, frage ich sie in ihrer Sprache, denn miteinander schlafen, das soll angeblich bedeuten, Sex zu haben. Noch bevor sie darauf etwas antworten kann, stelle ich glasklar fest: »Glaub nicht, dass da was läuft, wenn wir zusammenziehen. Erst will ich wissen, ob wir wirklich zusammenleben können. Dann kommt die Sache mit dem Sex. Als allerletzter Test. Denn ich will natürlich auch mal Kinder haben! Okay?!«
»Warum willst du wissen, ob ich Reizwäsche brauche, wenn du doch zumindest jetzt überhaupt keinen Sex haben willst?«, will sie auf einmal wissen.
»Einerseits wollte ich checken, ob da noch ein verstecktes Tabuthema ist. Weil ich meine, dass eine wahre Liebe nur dauerhaft funktionieren kann, wenn es keine Tabuthemen gibt, auch und gerade nicht beim Sex! Andererseits wollte ich die Gelegenheit nutzen, dir meine Vorstellungen vom Zeitplan, wann Sex an der Reihe ist, mitzuteilen!«
Sie findet, dass das eine merkwürdige Art und Weise ist, über dieses Thema zu reden. Aber ich brauche nun einmal Klarheit auf meine Weise. Sonst geht am Ende gar nichts. Basta!
»Merke dir meine Worte«, sage ich ihr. »Es wird der Tag kommen, an dem du verstehst, warum ich so nachbohre.« Dies spüre ich tief im Inneren.
Martina wird spätestens dann, wenn wir zusammenziehen, an mir wahrscheinlich noch viele Dinge entdecken, die sie bizarr, abartig oder zumindest äußerst merkwürdig finden wird. Und solange ich nicht weiß, wie sie darauf reagiert, kann ich mich nicht festlegen. Sie muss mich so akzeptieren, wie ich bin. Im ganzen Leben haben mir so viele Leute das Feedback gegeben, dass ich nicht normal sei, dass ich spinne, dass ich keine Gefühle hätte, nur weil es mich kaltlässt, wenn da mal wieder die Rede von vielen Toten bei einem Erdbeben ist. Im Gegenteil, so ein Erdbeben ist ungeheuerlich attraktiv. Jedenfalls für mich, wenn es mal wieder meine Theorie der »Plume-induzierten Frontentektonik«, einer Erweiterung der Plattentektonik, bestätigt.
Währenddessen hat der Winter seine dunkelste Zeit hinter sich. Die Sonne steigt stetig immer höher hinauf. Die Tage werden länger. Und die ersten Frühblüher wie Schneeglöckchen und Bitterblumen, in geschützten Lagen teilweise sogar erste zartlila Krokusse, können auch zwischen Alpinum, dem Hügel im Botanischen Garten der Uni Kiel, und dem Ostseestrand, der meine augenblickliche Heimat nach Norden hin begrenzt, gesichtet werden.
Martina und ich besuchen nun regelmäßig die Gewächshäuser des Botanischen Gartens der Uni Kiel. Das schönste aller Gewächshäuser ist für mich dabei immer wieder neu das Sukkulentenhaus. Darinwachsen viele prächtige Kakteen. Sie sind so groß, wie ich sie niemals auf der eigenen Fensterbank stehen sehen werde.
Kakteen, das sind seit meiner Kindheit meine Lieblingspflanzen. Sie können so herrlich blühen und sie sind für mich von bizarrer Schönheit. Seit ich von der Existenz dieser Pflanzen weiß, fühle ich mich mit ihnen auf seltsame Weise verbunden. Es sind ein paar grundlegende Eigenschaften, die diese Pflanzen und ich gemeinsam haben.
Kakteen brauchen besonders viel Sonne und Wärme, viel mehr als andere Pflanzen. Dafür brauchen andere Pflanzen viel mehr Wasser. Kakteen sind anders als alle anderen Pflanzen und das gefällt mir.
»Sonne« entspricht »Ruhe«, »Wasser« entspricht »Menschen«. Ich brauche viel Ruhe und wenig andere Menschen um mich herum, um existieren zu können. In diesem Sinne sind Kakteen genauso wie ich. Das spüre ich.
Im Rahmen der mir von meiner Vermieterin immer mal wieder erteilten ostpreußischen Flirtkunde weist sie mich aus aktuellem Anlass ausdrücklich darauf hin, dass in wenigen Tagen Valentinstag sei:
»Herr Schmidt, wissen Sie, man schenkt seiner Angebeteten zum Valentinstag ein Zeichen der Liebe! Und das lege ich Ihnen dringend ans Herz. Ich habe Ihre Freundin jetzt ja schon ein paar Mal gesehen. Sie hat ein ganz warmes Herz. Ich glaube, Sie brauchen nicht mehr zu suchen, Sie haben gefunden! Aber nun müssen Sie dafür sorgen, dass sie bleibt!«
»Und wie soll ich das anstellen?«
»Schenken Sie ihr ein paar hübsche Rosen! Das genügt!«
Ich habe es schon früher nicht sonderlich gemocht, wenn die Leute immer so viele Blumen geschenkt haben, die wenige Tage später, wenn die farbenfrohe Blüte verwelkt war, weggeworfen wurden. Eigentlich sieht man den Blumen ja beim Sterben zu. Warum machen die Menschen das?
Langsam sterbende Blumen zum
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