Kaktus zum Valentinstag
schließlich auf den 28.5. Wegen seiner Mischung aus 2, 8 und 5 ist das ein nach außen glänzendes, knallviolettes Datum, mit der warmgrünen Vier und der weichen terrakottagelben Sieben im Innern, nämlich 4 mal 7. Das bringt sicherlich Glück!
Der Termin steht. Zeit, meine Papamamas und irgendwann auch Martinas Mutter über diesen Entschluss, uns demnächst ringzeremoniell und damit offiziell zu verloben, zu informieren. Ob die nun begeistert oder skeptisch sind, weiß ich nicht. Wirklich informative Kommentare gibt es keine, so dass ich von einem Einverständnis und Wohlwollen ausgehe.
Schon wenige Tage später treffen wir uns bei einem Gettorfer Juwelier, um uns unsere Ringe auszusuchen. Denn die Verlobung soll unser erster Ringtag werden. Eine Hochzeit auf Probe sozusagen, mit dem Datum der Verlobung im Ring. Und wenn wir dann tatsächlich heiraten, würde das der zweite Ringtag werden, das zweite Ringdatum.
Beim Juwelier sind wir uns schnell ringeinig. Das ist wunderbar. Wenn wir uns über das Design oder den Preis der Ringe hätten streiten müssen, wäre das bestimmt kein gutes Zeichen gewesen. Unsere Wahl fällt schließlich auf ein Ringpaar, das ein Muster aus vielen kleinen Strichen trägt. Es erinnert an das Profil eines Autoreifens. Daher begreifen wir die Ringe als goldene Bereifung für den folgenden gemeinsamen Lebensweg, den wir fortan fahren wollen. Mögen die goldenen Reifen unserer Liebe viele Meilen Glück bringen. Mögen sie bis ans Ende der Straße halten.
Ich habe mir in den Kopf gesetzt, dass wir uns genau dort offiziell verloben, wo der kleine Tomai zum ersten Mal in seinem Leben das Plätschern eines Gebirgsbaches hörte, wo er im kristallklaren Wasser spielte, wo ringsherum nur hohe tannenrauschende Berge sind und wo früher immer die busartige, knallbuntrote Bimmelbahn durch das Tal echote.
Der kleine Tomai, das war ich, der kleine geheimnisvolle Junge mit den Adleraugen, der in den siebziger Jahren alles erforschen musste, was er sah. Und diese Stelle, an der so viele schöne Kindheitserinnerungen hängen, sie heißt bei den Papamamas und bei mir bis heute »unser Plätzchen«, weil hier jeder Familienausflug in den Harz mit einem schönen Mittagspicknick begann.
»Unser Plätzchen« liegt zwischen Lautenthal und Wildemann im Harz, an einer Waldwegbrücke über die wildromantische Innerste. Als am frühen Morgen des 28. Mai 1992 die Sonne im Nordosten aufgeht, steht fest, das wird ein herrlicher Tag. Wie nach Plan. Martina und ich fahren ganz allein zu jenem Picknickidyll aus frühen Kindertagen.
Dort ziehen wir unsere Schuhe aus und waten über die rundlichen Steine etwa einhundert Meter im kalten Wasser bachaufwärts. Dann gehen wir an Land, um uns am Ufer ganz allein im Angesicht der Natur zu verloben. Ein jeder steckt dem anderen seinen goldenen, uns nun vereinenden Reifen auf.
Anschließend fahren wir zur Verlobungsinsel im großfelsigen Okertal, dort wo der kleine Tomai immer zwischen den im Okerfluss liegenden riesigen Granitfelsen hin und her gesprungen ist.
Und da aller guten Dinge drei sind, gipfelt unsere Verlobung auf dem Brocken. Eine herrliche Wanderung auf dem Goetheweg führt uns hinauf und wieder hinunter. So wie eine Freundin zu haben, für mich lange Zeit unerreichbar schien, so ist es auch mit dem Brocken. Denn auch der lag bis vor Kurzem genauso unerreichbar jenseits des großen langen doppelten Metallzauns. Mauern müssen überwunden werden, um weiterzukommen, Berge erklommen werden, um zu verstehen, wie die Ebenen unten strukturiert sind, diese Symbole real erlebnisstark zu verinnerlichen, das ist mir wichtig.
Bei klarem Wetter markiert der Brocken die Silhouette des Südhorizontes von Gadenstedt. Dort findet das Finale auf der Terrasse von Andorra State statt. Dort warten die Grillkohlen auf ihre Anzündung und Durchglühung zum Grillfleisch- und Würstchenessen im Familienkreis. So nimmt auch die engere Verwandtschaft noch an unserem Glück teil.
Nachdem wir wieder nach Kiel zurückgefahren sind und sich unsere Verlobung auch bis in die hintersten Winkel unserer Verwandtschaft herumgesprochen hat, erreicht uns eine merkwürdige Glückwunschkarte. Auf dem Cover ist ein Paar Handschellen abgebildet, wobei der eine Arm bereits eingeschellt ist und man gerade dabei ist, auch den anderen Arm einzuschellen. »Bald ist es so weit!« steht auf der Karte. Die Verlobung als Vorstufe einer Verhaftung, einer Gefangennahme. Eine Hochzeit als Gefängnis. Das wäre
Weitere Kostenlose Bücher