Kaktus zum Valentinstag
Weg gefunden, wieder einmal ohne Wegweiser. Wieder einmal folge ich dem, was mich zeitlebens weitergeführt hat. Und das ist wie so oft genau das Gegenteil von dem, was mir alle geraten haben. Warum nutzen mir die Ratschläge der anderen meistens nichts?
Nach einigen Tagen geht es endlich los. Das Forschungsschiff »Sonne« legt ab. Wir stechen in Ozean!
Ganz allmählich komme ich darüber hinweg, dass ich nicht bei Martina in Kiel, sondern auf diesem Schiff bin. Das Kreuz des Südensweist den Weg über das Wasser. Das Schiff ist ein Fremdkörper im endlosen Meer.
Bizarre Felszacken tauchen am Horizont auf. Land in Sicht! Es ist die Robinson-Crusoe-Insel. Wir passieren sie in genau 11,4 Seemeilen Abstand. Ich muss daran denken, wie das wohl wäre, wenn ich hier jetzt leben würde. Nein, ich möchte niemals einsam sein!
Es ist Abend, als das letzte Licht auf die Zackensilhouette am Horizont fällt. Das Schiff bewegt sich weiter westwärts. Die Dunkelheit der Nacht überzieht das weite Meer.
Im Morgengrauen des nächsten Tages bin ich wieder an Deck. Wieder Land in Sicht. Diesmal passieren wir in genau 4,4 Seemeilen Abstand die spektakuläre Kulisse der Alexander-Selkirk-Insel. Lange schaue ich zurück, bis uns hier an Bord nur noch die Wasser eines stillen Ozeans umgeben.
Der Platz achtern an der Reling ist mein Lieblingsplatz. Hier hänge ich meinen Gedanken nach. Fern aller Menschen. Und damit auch fern von Martina. Was mag sie wohl gerade machen? Was denkt sie? Liebt sie mich überhaupt noch? Und was macht sie aus der neuen Wohnung?
Ich habe Nachtwache an Deck. Das Schiff wogt langsam auf und nieder. Ich stehe an der Reling. Achtern. Wie immer. Mit Blick auf die Schaumspur im Salzwasser. Sie markiert die frisch zurückgelegte Strecke. Wie eine abgefahrene Autobahn über das endlose Meer. Sie wachsen zu sehen, freut mich. Ich muss mich abzappeln, Wissenschaftler und Besatzungsmitglieder sehen auf einmal jene stereotypen Bewegungen, die Martina an mir noch nie gesehen hat. Meine Art, Freude auszuleben, ist für viele bizarr.
Die einzige Verbindung zu Martina ist via Satellit. So muss unsere Freundschaft und Liebe aus Kostengründen zunächst mit spärlichster Fax-Kommunikation überleben:
»Hallo, mein Gnubbelchen, nun kommt endlich das erste Fax für meine Martina! Wir sind gerade bei Position 103 Grad westlicher Länge und 27 Grad südlicher Breite. Ich vermisse dich hier so. Mir ging es die erste Woche an Bord nicht so gut. Jetzt ist wieder alles klar. Wenn du aufstehst, gehe ich hier gerade ins Bett. Oder ich beobachte den wunderbaren südlichen Sternenhimmel und die farbenprächtigen Sonnenuntergänge. Ansonsten ist da nur Wasser. Es wird noch dauern, bis wir endlich wieder Paso Doble, Walzerund Cha-Cha-Cha tanzen können. Ich muss immer daran denken, was einem doch auf See alles verloren geht. Ich erwarte schon jetzt den Moment des Wiedersehens, unsere Wohnung und ganz doll dich. Bis zum nächsten Fax ganz, ganz viele Küsschen von mir für dich. In Liebe, dein Peter.«
Die Antwort folgt prompt:
»Liebster Peter! Ich habe mich riesig über das Fax gefreut. Danke! Mir geht es einigermaßen gut. Die erste Zeit ohne dich war recht schwer, aber ich habe mich jetzt wieder gefangen und warte, bis du wieder da bist. Der Teppich im Wohnzimmer ist verlegt, habe einen Stubenschrank gekauft. Sieht toll aus, du wirst dich freuen. Ich mag nicht spazieren gehen, weil ich dann zu sehr an dich denken muss. Einen Jahrhundertsommer nennen die Medien das Wetter. Die Sonne lacht, aber mein Herz weint. Wie gern wäre ich da, wo du bist. Du fehlst mir so. Ich liebe dich so. Die Telefonnummer unserer neuen Wohnung ist übrigens 0431 673714. Vergiss mich nicht und lass wieder was von dir hören. Ich liebe dich über alles. Deine Martina.«
Die Telefonnummer ist ein Glücksgriff. Da sind alle farbwichtigen Ziffern drin. Diese Nummer will einfach angerufen werden. So rufe ich Martina direkt via Satellit an. Doch das ist sehr, sehr teuer. Aber es ist gut, wieder ihre Stimme zu hören, auch wenn sie rauschig-drahtig-blechern verfälscht ist.
Mittlerweile bin ich seit fast einem Monat auf See. Wir sind im landfernsten Gebiet der Erde. Inmitten des Pazifischen Ozeans zwischen Osterinsel und Pitcairn. Ein Bildschirm im Labordeck zeigt die aktuellen Koordinaten, unsere augenblickliche Position in geographischer Länge und Breite. Und die »distance to waypoint« steht da, die verbleibende Strecke bis zum nächsten Etappenziel.
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