Kaktus zum Valentinstag
Mädchengesichter waren es, die nass regneten.
Und genau das war es, was mich an der ganzen Sendung langweilte. Das wäre so, als wenn bei »Jugend forscht« immer nur gezeigt worden wäre, wer gerade regnet oder sauer auf die Jury ist. Aber das hat damals nie in den Zeitungen gestanden. Da stand schlicht, wer gewonnen hat, wer nicht drinnen stand, war halt nicht weitergekommen. Basta! Das erzähle ich der Mau.
Da erklärt sie mir, dass es genau diese Emotionen sind, die hier dargestellt werden sollen. Es gehe weniger um das Singen, sondern vielmehr um die Gefühle der ganzen Beteiligten. Natürlich gehe es auch um das Singen, aber das sei für das Format erst mal nachrangig.
Aha, deswegen gibt es bei so etwas wie »Jugend forscht« keinen Medienrummel, aber beim Singen, da kommen Emotionen direkt zur Sprache. In diesem Moment kommen auch Erinnerungen an diese Kommunikationsseminare hoch. Da hieß es auch mal, dass ich unbedingt Singen lernen sollte. Das würde alle meine Probleme beheben. Denn je besser man sich in die Inhalte eines Songs emotional hineinversetzen könne, je besser man das Lied fühle, desto besser singe man. Beim Singen gehe es nur um Emotionen. Ja, mehr noch, das ganze Leben drehe sich nur um Emotionen. Etwas, das ich bis heute gar nicht oder nur bedingt nachvollziehen kann.
So habe ich mir vorgenommen, die nächsten Sendungen von »Deutschland sucht den Superstar«, sofern es weitere Folgen geben wird, nicht zu verschlafen, sondern zu sezieren, so wie ich im Rahmen der ostpreußischen Flirtkunde Liebesfilme analysiert habe. Die Emotionen rational sichtbar und damit für mich erschließbar zu machen. Eine Fernsehsendung als Kommunikationsseminar sozusagen! Für das R – T – L: das richtig tolle Leben!
Der Kindergarten, in den meine Tochter nun seit zwei Jahren geht, hat zu einem Fest eingeladen. Dort wird etwas vorgeführt. Oh, wie hasste ich als Kind solche ausgedachten Theaterspiele! Jemand zu sein, der ich eigentlich gar nicht bin und auch nicht in echt sein kann oder will, das war und ist bis heute schwierig. Warum wollen und mögen alle Menschen das bloß so sehr?
Das Stück haben die Kinder »Im Land der blauen Freunde« genannt. Doch meine Tochter spielt keinen dieser blauen Menschen. Nein, sie steht auf einmal als roter Wicht im Land der blauen Freunde auf der Bühne. »Du gehörst zu uns doch nicht, du roter Wicht!«, heißt es. Worte, die mich instantan treffen. Das ist, als fasse jemand in eine unsichtbare Wunde, als klopfe jemand an die geheimnisvolle Mauer.
Noch nie zuvor habe ich so etwas bei einem Theaterstück erlebt. Schon gar nicht, wenn es Laienschauspieler waren, die etwas dargeboten haben. Mich übermannt ein seltsames Gefühl. Das ist doch genau deine eigene Situation! Ich spüre, wie meine Tochter die Mauer sichtbar macht, indem sie sich als sichtbar roter Wicht in eine Welt blauer Wesen begibt.
Das Land der blauen Freunde. So klar habe ich das noch nie vorher gesehen. Der rote Wicht – das bist du, sage ich mir. Die ganzen Menschen drumherum, das sind die blauen Freunde, und die Welt, in der du dich befindest, ist nicht dein Land, sondern das Land der blauen Freunde. Die Mauer ist da, weil die anderen dich in einer ungewohnten Farbe sehen.
Ich bin ganz seltsam berührt. Ich erinnere mich an viele Aufenthalte im Ausland. Wo ich Alien per Pass war. Wo ich als der andere so angenommen wurde, weil ich nun einmal deren Sitten und Gebräuche nicht mit der Muttermilch aufgesogen habe. Deswegen verzeiht man mir bis heute überall auf der Welt Fehltritte, nur nicht in Deutschland. Weil man dort ein blauer Mensch sein muss, um dazuzugehören. Aber warum ich dann der rote Wicht im Land der blauen Freunde bin, diese tiefer gehende Frage bleibt weiterhin unbeantwortet!
Emotionale Versteinerung in Stonehenge
Endlich habe ich es wie viele andere vor mir geschafft, einen Kapitalgrundstock anzusparen. Um unabhängiger von den Menschen da draußen zu werden, ist es Zeit, sich ein eigenes Heim zu schaffen. Es zeigt sich schnell, dass es im Rhein-Main-Gebiet leider kein unseren Vorstellungen entsprechendes Haus mit Garten gibt: entweder zu teuer, zu laut, zu alt, schlecht geschnitten, falsch ausgerichtet oder zu klein. Am liebsten würde ich ja selber bauen, aber das ist in dieser Gegend erst recht unbezahlbar. Da aber der Gemüsegarten in Andorra State genügend Platz bietet, entschließen wir uns, dort ein Hausprojekt nach eigenen Vorstellungen umzusetzen.
Der Sommer 2003
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