Kaktus zum Valentinstag
Bodenplatte gegossen, die Wände hochgezogen, die Decken gemacht und pünktlich vor der Sommerpause werden die wichtigsten, formbestimmenden Außenarbeiten fertig! Nun steht da ein Haus, wo früher immer der Gemüsegarten war. Erbsen, Kartoffeln, Bohnen, Erdbeeren, Gurken wachsen hier nur noch in der Erinnerung. Die Aufholjagd im Projektplan Hausbau ist erfolgreich. So steht doch noch vor der Sommerpause der Bauarbeiter sogar das Richtfest rechtzeitig an.
Wieder beginnt der Tag hochsommerlich. Doch während die Zimmerleute im Dachstuhl arbeiten, kommt von Westen eine schwarze Wolkenwand herangezogen, begleitet von dumpfem, dauerhaftem Donnergrollen. Eine Stunde später müssen noch die letzten Nägel in die Dachbalken geschlagen werden, als es rings um den Rohbau bedrohlich nahe kracht. Wieder ein schweres Dumdideldum. Wie am 1. Mai.
Das Dumdideldum verhindert, dass auch unser Richtfest so beginnt, wie es die Tradition als Planung vorgegeben hat, mit dem Einschlagen des letzten Nagels durch den Bauherrn, hier durch mich. Denn es pladdert erneut eimerweise. Wie ein tropisches Dumdideldum.
Die Mau hat liebevoll etwas zu essen und zu trinken vorbereitet. Ich habe den Grill in Gang gebracht, um fleischige und wurstige Leckereien anbieten zu können. Währenddessen plätschern wahre Wasserfälle am Loch der Obergeschossdecke, dort, wo die Treppe ins Obergeschoss vorgesehen ist, in die Tiefe. Derweil hängen die Zimmerleute unter der Eimerdusche des Gewitters die Richtkrone in den Dachstuhl.
An den Ausgängen des Rohbaus bilden sich reißende Flüsse, Sturzfluten ergießen sich wie amerikanische Flashfloods in die grasige Gartenfläche. So etwas habe ich noch nie in meinem Leben hier auf diesem Grundstück gesehen. Das Richtfest fällt ins Wasser des dritten Flusses. Ich bin wütend, weil die Bauleute einfach nicht warten wollen, bis das Unwetter ausgeregnet und ausgeblitzt hat. Es kommt zu einer totalen Eskalation, einem emotionalen Vulkanausbruch. Loses Material liegt auf so einer Baustelle ja genug herum.
So wird mein Frust durch Energieumwandlung abgebaut. Die Steine nehmen meine Frustenergie als kinetische Energie auf. Ich wusste gar nicht, dass ich so viel Kraft haben kann. Die kommt wohl von den ganzen Gartenwegplatten, die ich in letzter Zeit geschleppt habe. Denn nun fliegen schwere Steine durch die Gegend. Die Stimmung, der Plan, wie ich mir das Fest vorgestellt habe, dahin. Weggespült.
Eine Stunde später macht das Wetter ein Friedensangebot. Die Sonne scheint, so als wenn nichts gewesen wäre. Ich stehe starr vor dem vom Wasser gründlich getauften Rohbau. An der Ostgrenze meines neuen Grundstücks schaue ich den gewaltigen, grollenden Gewitterwolken hinterher, wie sie langsam nach Osten abziehen.
Ich bin T-T-T. Total, total traurig. Nicht mehr ansprechbar. Erstarrt. Mein Blick geht untröstbar in die Leere. In die Weite. Ins geheimnisvolle Nichts. Es ist so ein Moment, der unwiederbringlich ist, ein Moment, den es kein zweites Mal gibt. So wie der erste Eindruck bei einem Bewerbungsgespräch, den kann man nicht wiederholen. Die Richtkrone hängt. Ich bin über das Gebirge gefahren, ohne die Berge gesehen zu haben, die ich sehen wollte, als ich diese Passstraße auswählte.
Es gibt für mich nur noch eine Lösung, mit der Situation fertig zu werden. Den Tag des Richtens durch die Zimmerleute nicht als den Tag des Richtfestes zu sehen. Sondern den noch ausstehenden Tag der offiziellen Gründung von Silencia gleichzeitig zum Tag des wahren Richtfestes zu erklären.
Elf Tage später passt laut Lebensdrehbuch doch noch alles zusammen. Das Wetter. Die Stimmung. Draußen herrscht die entspannte Ruhe nach dem Sturm. Die Sonne scheint. Der Himmel ist australienblau mit Wölkchen wie im Outback. Allein das liebliche Vogelgezwitscher unterbricht die Stille. Alles ist sattgrün. Ich spüre, dass der Moment gekommen ist, das wahre Richtfest, die Gründung von Silencia, meiner Oase der Ruhe, zu feiern.
Es ist der 31.07.2004, ein blaubeigegrüner Tag. Wie im Hochzeitsdatum sind auch hier die farbwichtigen Ziffern 3, 4, und 7 enthalten. Ein gutes Omen. Ein provisorisches, hölzernes Schild neben dem Grill zeigt den Namen meiner Heimat: »Silencia«. Es ist Zeit, endlich SPQR zu machen. »SPQR machen«, das ist eine Satzvokabel, die ich erfunden habe, um ein bestimmtes Ritual zu benennen. Wenn jemand SPQR macht, dann rammt er seine Fahne in den Boden und sagt: »Das ist mir.« Oder: »Das gehört mir.« Oder:
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