Kaktus zum Valentinstag
herrlich hochsommerlich. Die Bauarbeiter sind derweil bis zum Aushub für die ganzen Rohre und Kabel, die später unter dem Belag der Via Silencia liegen sollen, gekommen. Die Mau dreht einen Dokumentationsfilm über die getätigten Bauarbeiten.
Beim Mittagessen stelle ich fest, dass wir ja noch gar keine Fotos von der Baustelle aufgenommen haben. Der Spaß, den ich habe, an und in der Baustelle herumzuturnen, muss unbedingt noch durch die entsprechenden Ottofotos dokumentiert werden. Ottofotos, das sind Fotos, auf denen ich selber oder ein Mitglied der Familie drauf ist. Die heißen deswegen so, weil meine Bio-Lehrerin auf einer unserer gemeinsamen Reisen meinte: »Das sieht ja aus wie ein Otto!«, als siemich fotografierte. Irgendwie muss ich also komisch ausgesehen haben. Warum, weiß ich auch nicht.
Die Mau hat gerade keine Lust, noch mal mit einer Kamera herumzulaufen. So vertagen wir das Machen von Ottofotos auf den nächsten Tag. Derweil schwült die Luft draußen immer mehr, und der Himmel milcht sich zunehmend ein. Es herrscht eine gespenstische Stimmung am Himmel. Ganz allmählich und unmerklich wechselt die Farbe von blassblau nach blassgrau. Und fast unmerklich verschwindet die Sonne hinter den Schleiern am Himmel. Das ist endgültig kein gutes Fotowetter mehr, um knallige Farben einzufangen.
So werkele ich im ehemaligen Gemüsegarten meiner Kindheit herum, denn das ist der Platz, wo jetzt unser Haus hinkommen soll. Dort stehe ich gerade mit einem Spaten in der Hand, um letzte Reste alter Wege und Zäune zu entfernen. Immer wieder halte ich inne, mustere den Himmel, der immer bedrohlicher wirkt. Und mir fällt auf, dass sämtliche Vogelstimmen, die im Garten zu hören waren, mittlerweile verstummt sind.
Urplötzlich gleißt wie beim Schweißen ein grelles, helles Leuchten den ganzen Himmel, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen. Dumdideldum! Ein im totalen Dunst getarntes Dumdideldum, so nenne ich seit meiner Kindheit Gewitter, ist ausgereift. Nicht herangezogen kommt es, nein, es entsteht gerade genau über mir. Regen bleibt noch aus, Zeit, um alle Geräte trocken einzuräumen.
Waren es erst einzelne Blitze, werden es jetzt immer mehr. Das Gewitter zieht auch nicht weiter, sondern wird heftiger und heftiger. Erst stippert es herum, dann regnet es sich ein, und am Abend schüttet es eimerweise. Ich stehe am Fenster und bin begeistert vom Geschehen. Die auf der Straße vorbeifließenden Wassermassen bringen mich in Ekstase. Wie so oft flattern meine Arme, zappeln meine Beine.
Als ich am nächsten Morgen sehe, dass der gesamte Aushub noch immer geflutet ist, bin ich jedoch enttäuscht. Bitter enttäuscht. Weil es kein Ottofoto von der herrlichen Stimmung des Vortages mehr geben kann. Alles, was farblich so toll aussah, ist dahin. Wegen des zweiten Flusses. Die Aushubhügel sind zu riesigen, schuhverklumpenden Matschhaufen mutiert. Wieder einmal ärgere ich mich darüber, dass ich die Brücke, die sich mir auf meinem Lebenswegenetz bot, nicht sofort genutzt habe. Jetzt muss ich einen anderen Weg nehmen, denn dieser Fluss hat keine weitere Brücke mehr. Die Sache ist Geschichte.
Die Mau versucht mich zu trösten: »Peter, it makes no sense to cry over spilled milk!«
»Hä, was willste mir denn damit sagen? Wieso auch noch in Englisch? Und was hat das alles mit vergossener Milch zu tun?«
Nachdem sie mich aufgeklärt hat, dass man das da draußen auch »It rained a lot of cats and dogs« nennen kann, wird mir einiges klarer. Auch heute noch muss ich Satzvokabeln lernen. Jetzt eben auch auf Englisch.
Zwei Wochen lang trage ich die Enttäuschung mit mir herum. Warum habe ich bloß nicht gleich am Tag zuvor darauf bestanden, mein Fotoritual durchzuziehen? Wieso wurde da nur dieser Film gedreht? Und warum macht mir das alles bloß so sehr zu schaffen? In meinem Kopf bildet sich ein Knoten der Verspannung.
Erst als die Baufirma zwei Wochen später das ganze Wasser aus den Gräben abgepumpt hat, geht es endlich weiter. Und es geht wieder aufwärts mit meinem Wohlbefinden. Ich habe die Sache mit dem nicht mehr machbaren Foto überwunden. Schweren Herzens. Die Bauerei nimmt einhundert Prozent meines privaten Arbeitsspeichers ein. Es sind so viele Dinge zu bedenken, damit das Projekt auch erfolgreich bleibt. Alle Gedanken drehen sich darum, dass bloß alles klappen möge. Für die Familie bleibt kaum Zeit.
Glücklicherweise schreitet der Bau nun sehr zügig voran. Die Baustraße wird verfestigt, die
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